Stück „Der Große Gopnik“ über Putin: Aus dem Leben eines Aufsteigers

Wie konnte Putin Russlands Autokrat werden? Das Theater Freiburg zeigt mit dem Stück „Der Große Gopnik“, wie eine Gesellschaft den Erfolg ermöglichte.

Eine Bühne mit einem Salon, in dem sich eine bürgerliche Gesellschaft trifft.

Eine Groteske, die verzerren, übertreiben und dadurch entlarven will: „Der Große Gopnik“ von Viktor Jerofejew Foto: Laura Nickel

Wo haben sich so richtige Männer vom alten Schlag heute noch etwas zu sagen? Richtig: in der Sauna. Und so finden auch Putin und Stalin, der breitbeinig seinen langen Stoffpenis präsentiert, beim gemeinsamen Schwitzen rasch ein Thema, nämlich die effektivsten Methoden, um ein Volk zu unterdrücken.

Dass gerade diese beiden Typen im Theater Freiburg aufeinandertreffen, hat seinen Grund. Denn es geht in der Uraufführung von „Der Große Gop­nik“ um nicht mehr und nicht weniger als um eine Genealogie, des Schreckens und der Angst, vor allem aber der despotischen Machtstrukturen in Russland.

Zu deren Darstellung setzt der Regisseur Eike Weinreich auf eine Rondellbühne. Die Botschaft ist klar: Geschichte mit den stets selben Zyklen und Mechanismen der Gewalt wiederholt sich. Immer wieder werden wir daher einer weißen Treppe gewahr, auf der Menschen wie nach einer Erschießung liegen.

An dieses möglicherweise auf die ikonische Kriegsszene aus dem Filmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergei Eisenstein verweisende Bild schließt sich eine lose Abfolge von Einzelszenen aus dem Leben Putins (Martin Hohner) an. Mal schauen wir zurück auf seine Kindheit, erleben, wie er selbst zum Hinterhofschläger, einem Gopnik, wurde, mal begegnen wir ihm in seiner Regierungszentrale, wo er mit einem Handschlag Menschen umkippen lässt und sie zu Leichenbergen aufschichtet.

Nachdem der aktuell im deutschen Exil lebende Viktor Jerofejew in seinem Roman von 2023 insbesondere den Werdegang des Autokraten ins Zentrum rückt, weitet er in seiner Stückfassung den Blick auf das System, in dem der Tyrann erst aufsteigen konnte, also auf die russische Gesellschaft. Gerade die Bourgeoisie sei, wie es der Schriftsteller in seiner Groteske zuspitzt, Teil der „Epidemie der Dummheit“, sei zersetzt von Dekadenz und suche ihr Glück seit Jahrhunderten im Dominanzstreben.

Wut eines desillusionierten Denkers

Übrigens bekommen auch wir unser Fett ab, werden wir doch – gemahnend an den freundlich-naiven Politikkurs von Gerhard Schröder und Angela Merkel – von dem „gutmütigen Deutschen“, dem liebsten Adepten des Kremlfürsten repräsentiert.

Aus all dieser Wut und Polemik eines desillusionierten Denkers hebt die Regie speziell die Verdrängung hervor: Noch bevor der Hooligan zum Staatschef avanciert, beobachten wir eine Salongemeinschaft, die sich gefällig über Modefragen unterhält, blind für all das, was noch folgen wird. Später, nach dem Verlust sämtlicher Freiheiten, werden wir vor genau dieser Kulisse nur noch eines Heers von Vermummten gewahr. Ihnen kommt zudem die Funktion zu, einen Oppositionellen bei seiner Rede zum Aufruhr abzudrängen und zu eliminieren.

Obwohl es dieser und weiteren Szenen nicht an Drastik mangelt und am Schluss Grabesblumen die Bühne säumen, haben wir es keineswegs mit einem Trauerspiel zu tun. Die starke Überzeichnung der Figuren, die stellenweise Dümmlichkeit des Diktators, der etwa durch Rollschuhfahren die Welt zu beeindrucken hofft, ein ausgiebig diskutiertes Märchen über einen reisenden Teigkloß sowie eingeblendete Katzenvideos geben die Story als eine Groteske zu erkennen. Sie will verzerren, übertreiben und dadurch entlarven.

Alle Versuche, Putin zu stoppen, misslingen

Der Schriftsteller nimmt sich dabei selbst nicht aus. Als Alter Ego lässt sich Jerofejew von Thieß Brammer verkörpern. Zwar positioniert sich jene Figur nach einigem Hin und Her gegen den Regierungschef, bezeugt jedoch in letzter Konsequenz nur das Scheitern der intellektuellen Elite an einem barbarischen Regime. Alle Versuche, Putin zu stoppen, misslingen also in diesem Stück.

Es siegen die sich rot verfärbenden Schlachtbilder, die mehrfach als Projektionen über der Treppe erscheinen. Es bleiben die gigantischen Füße, die über der Mitte der Drehbühne die (männliche) Herrschaft symbolisieren, unverrückt. Für naive Hoffnung gibt es, so die Botschaft, keinen Raum.

Wer allerdings einen Triumph verzeichnen kann, ist das Theater selbst. Fulminant und bildstark erfüllt diese stringente Komposition, was Kunst seit jeher antreibt: falschen Autoritäten, in diesem Fall einer der schlimmsten, mit Widerstand zu begegnen.

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