Eskalation im Nahen Osten: Patenonkel Iran

Die Mullah-Republik sieht sich als Schutzmacht der Palästinenser. Paradoxerweise rücken so aber die arabischen Staaten näher an Israel heran.

Irans Religionsführer Ajatollah Chamenei.

Ajatollah Chamenei, das politische und religiöse Oberhaupt des Iran Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa

Mit dem iranischen Luftangriff auf Israel hat der Nahostkonflikt eine neue, gefährliche Wende erhalten. Allenthalben ergehen Warnungen vor einem Flächenbrand. Zugleich dreht sich der Konflikt zurück zu seinen Anfängen in den ersten Jahrzehnten nach Gründung des Staates Israel im Jahr 1948: Damals handelte es sich um eine zwischenstaatliche Auseinandersetzung, mit Israel auf der einen und einer Reihe arabischer Despotien auf der anderen Seite.

Die arabischen Länder gedachten Israel von der Landkarte zu tilgen, Israel wiederum ging es darum, die eigene Existenz zu sichern, auch durch Gebietserweiterungen. Der Iran spielte damals keine Rolle. Über die Palästinenser sprach kaum jemand, und wenn, dann dienten diese im Propagandakrieg lediglich als Statisten zur Stützung arabischer Interessen. Politisch spielten sie ebenfalls keine Rolle.

Das änderte sich erst Anfang der 1970er Jahre nach der israelischen Eroberung der Westbank im Sechstagekrieg 1967 und dem Aufstieg der säkular orientierten PLO als politischer Vertretung der Palästinenser. Dieser Emanzipation waren allerdings Grenzen gesetzt – durch die arabischen Staaten, auf deren Unterstützung die PLO angewiesen blieb. Nichtsdestotrotz vermochten es die Palästinenser, eine eigenständige Rolle im Konflikt anzunehmen. Dabei blieb es auch, als Islamisten wie die Hamas die alten säkularen Kräfte überflügelten. Aber auch sie blieben vom Wohlwollen einiger Staaten wie Katar abhängig.

Vor allem aber übernahm der Iran die Rolle des Patenonkels für die Palästinenser, während eine Reihe arabischer Staaten ihren Frieden mit dem nach rechts gerückten Israel schloss und dem Palästinenserkonflikt fortan keine größere Beachtung mehr schenkte. Das schiitische Regime in Teheran pflegte schon immer besondere Nichtbeziehungen zu Israel, dem Erzfeind, der nicht einmal beim Namen, sondern nur „zionistisches Gebilde“ genannt wird.

Iran hat nach seinem Angriff deutlich gemacht, dass er zum jetzigen Zeitpunkt an einer Eskalation kein Interesse hat

Ob es dem Iran dabei wirklich um das Wohl der Palästinenser geht, darf aber bezweifelt werden. Vor allem möchte das Mullah-Regime mit seinen Satelliten von den jemenitischen Huthis über die libanesische Hisbollah bis zur palästinensisch-sunnitischen Hamas die eigene Rolle als Regionalmacht ausbauen, um damit den arabischen Raum dominieren zu können. Genau deshalb drohen die Palästinenser wieder zu Objekten herabzusinken, denen man für ihren Terror herzlich zugeneigt ist, deren Tod man aber billigend in Kauf nimmt.

Zugleich führen die iranischen Ansprüche dazu, dass Staaten auf der Arabischen Halbinsel näher an Israel heranrücken, weil sie nicht von Teheran dominiert werden möchten. Insofern hat der Iran mit dem Angriff auf Israel das Gegenteil dessen bewirkt, was in seinem Interesse steht: Arabische Staaten rücken nun näher an Israel, das sich wiederum angesichts der Bedrohung aus Teheran weniger Kritik an der Kriegsführung in Gaza ausgesetzt sieht

Verhindertes Blutbad

Jetzt stehen wir möglicherweise am Beginn eines Kriegs zwischen Israel und dem Iran. Es ist kaum zu erwarten, dass Israel den Ratschlägen westlicher Verbündeter folgt und auf einen Gegenschlag verzichtet. Es wäre auch keine Spezialität Benjamin Netanjahus, sollte er den Befehl zum Angriff geben. Israel hat in seinem Existenzkampf immer auf Abschreckung gesetzt. Es ist dabei nicht schlecht gefahren, jedenfalls besser als mit dem gescheiterten Friedensabkommen von Oslo. Auch die erfolgreiche Abwehr der iranischen Raketen- und Drohnenattacke zeigt eigene militärische Fähigkeiten. Das Blutbad, das ohne Abwehrmaßnahmen hätte entstehen können, möchte man sich nicht ausmalen.

Israel hat jedes Recht, diesen Angriff militärisch zu beantworten – auch wenn Israel mit dem Schlag auf das iranische Konsulat in Damaskus die Lunte gelegt hatte. Der Iran hat nach seinem Angriff deutlich gemacht, dass er zum jetzigen Zeitpunkt an einer Eskalation kein Interesse hat und hat fast schon darum gebettelt, dass Netanjahu seine Raketen in den Silos lässt.

Auch Israel will keinen großen Krieg mit dem Iran. Es reichen schon der „kleine“ im Gazastreifen (der nun wirklich nicht klein, sondern brutal und lang ist) und die dauernden Scharmützel mit der Hisbollah an der Grenze zum Libanon, die leicht zu einem Krieg werden könnten. Der Westen rät Israel vor einer Eskalation ab, die weder US-Präsident Joe Biden im Wahlkampf noch die EU gebrauchen können und die bei steigenden Ölpreisen und unsicheren Handelsrouten eine schwächelnde Weltwirtschaft aus dem Tritt bringen könnte. Russland arbeitet zwar eng mit dem Iran zusammen, muss aber im Kriegsfall fürchten, dass der Nachschub an iranischen Kampfdrohnen für den Ukrainekrieg ausgeht.

Kein Vermittler in Sicht

Deshalb spricht derzeit eher wenig für den häufig heraufbeschworenen Flächenbrand. Wahrscheinlicher bleibt es, dass die Kontrahenten wieder zum alten Status quo zurückkehren. Und der ist ja nicht unbedingt sonderlich friedlich: mit dem Krieg Israels gegen die Hamas, den immer noch gefangenen israelischen Geiseln im Gaza­streifen, den Angriffen der Hisbollah auf Israel, den Drohnen im Jemen, der Präsenz iranischer Revolutionswächter in Syrien, den zur Gewalt neigenden israelischen Siedlern in der Westbank.

Von einer Friedenslösung aber bleibt die Region weiter als jemals entfernt. Angesichts des Pogroms vom 7. Oktober und der darauf folgenden Begeisterung in der Bevölkerung Gazas und der Westbank finden sich kaum mehr Israelis, die sich einen wie auch immer gearteten Frieden mit der palästinensischen Seite auch nur vorstellen können. Der Jubel auf palästinensischer Seite über den Massenmord zeugt davon, dass es umgekehrt nicht besser ist. In der Region ist kein Akteur sichtbar, der die Konfliktparteien näher zueinanderbringen könnte. Die EU hat im Nahen Osten keine Bedeutung, und in den USA droht Großdiplomat Trump.

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Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024

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