Bayer Leverkusen nach dem Titelgewinn: „Endlich mal ein guter Meister“

Ein König als Trainer, jede Menge neue Helden und einfach gute Arbeit: Bayer Leverkusen ist nach dem Titelgewinn ziemlich stolz auf sich.

Bayer-Fans jubeln auf dem Spielfeld.

Gute Chemie: Die Fans suchen die Nähe ihrer Helden bei der spontanen Meisterfeier auf dem Platz Foto: Federico Gambarini/imago

LEVERKUSEN taz | Der Fußball hat eine Epoche erreicht, in der zwar immer neue Rekorde aufgestellt werden, aber eine besonders faszinierende Kraft des Spiels ist während des vergangenen Jahrzehnts etwas verloren gegangen. Der Zauber des Neuen und Unbekannten, der am Sonntag zunächst die Stadt Leverkusen und anschließend weite Teile der Fußballnation erfasste.

Statt zum zwölften Mal sehr routinierte – ja vielleicht sogar etwas gelangweilte – Männer wie Thomas Müller, Manuel Neuer oder Leon Goretzka bei ihrem bayerisch eingefärbten Meisterritual zu betrachten, konnten selbst eingefleischte Werksklub-Skeptiker am Sonntag nach dem 5:0 von Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen kaum unberührt bleiben angesichts der Freude, die da hervorgebrochen ist. „Emotionen pur“, sagte Neu-Meister Jonas Hofmann, „da fließt alles durch den Körper. Soll man lachen? Soll man weinen?“ Oder einfach beides?

Es wurde sehr viel geweint und wahrscheinlich noch mehr gelacht an diesem Abend, der nicht nur einen neuen deutschen Meister, sondern auch sehr viele Helden hervorbrachte, die zum ersten Mal so einen Triumph erlebten. Selbst ein Routinier wie Granit Xhaka gewann erstmals einen Titel außerhalb seines Heimatlandes Schweiz.

Neu war das Erlebnis aber auch für den dreifachen Torschützen und desig­nierten Weltstar Florian Wirtz, für den in langen Phasen seiner Karriere unterschätzten Robert Andrich, für ewige Vizekusen-Gesichter wie Jonathan Tah oder den Torhüter Lukas Hradecky und für zigtausend Menschen in den Straßen und im Stadion. Alle waren erfüllt von einer emotionalen Energie, die der FC Bayern schon lange nicht mehr erzeugen kann.

Zeitenwende im Fußball

Vielleicht hatte Robert Andrich ja ähnliche Gedanken, als er bald nach dem vollendeten Titelgewinn sagte: „Es gibt nicht nur Bayern München, es gibt auch Bayer Leverkusen. Jetzt ist Bayer-Leverkusen-Zeit, jetzt gibt es endlich mal einen guten deutschen Meister.“

Selbst der Trainer Xabi Alonso, der als Spieler jede Menge große Titel gewonnen hat, darunter drei deutsche Meistertitel mit dem FC Bayern, berichtete von einer Reise durch unbekanntes Terrain, die er während dieser Saison erlebt hat. Es sei „etwas total anderes, einen Titel als Coach zu gewinnen“, sagte er. „Die Energie, die man braucht, ist vollkommen anders. Man kann das nicht vergleichen. Dieses Jahr war viel intensiver.“

Die spanische Zeitung Marca erklärte Alonso kurzerhand zum „König von Deutschland“, weil es ihm gelungen sei, „die Tyrannei der Bayern zu beenden“, und als der Baske am Sonntagabend selber über den Titel sprach, wirkte er wie ein sehr weiser König. Fröhlich ertrug er eine Bierdusche seiner Spieler während der Pressekonferenz, um dann zwar völlig durchnässt, aber weiterhin sehr aufmerksam und geduldig Journalistenfragen zu beantworten.

Alonso ist ein König, der selbst in diesem großen Augenblick Demut und Dankbarkeit ausstrahlte. Vielleicht liegt das ganz große Geheimnis hinter diesem besonderen Erfolg tatsächlich im Wesen des Trainers, der sich nicht nur deshalb als Teil des Teams begreift, weil er beinahe noch genauso gut kicken kann wie die Spieler.

Trainer mit Verbindung

Obwohl bereits in der Wochenmitte ein bedeutsames Spiel bei West Ham United samt Reise nach London ansteht, durfte die Mannschaft bis tief in die Nacht feiern und bekam am Montag frei. Alonso vertraut seinen Spielern und berichtete von seiner speziellen Verbindung zu den Profis. „Ich will immer in der Nähe der Mannschaft sein“, erzählte, „Ich will viel mit der Mannschaft sprechen, ich weiß, was die Spieler fühlen. Und diese Verbindung und die Empathie zu spüren, das ist wichtig.“

Im Verlauf des Abends zeigte sich sogar Werner Wenning, die graue Eminenz des Klubs, die sich sonst immer fernhält von der Öffentlichkeit. Der langjährige Vorstandsvorsitzende der Bayer AG, der jetzt dem einflussreichen Gesellschafterausschuss des konzerneigenen Fußballunternehmens vorsitzt, sagte im Bauch des Stadions: „Wir sind vor allem mit einer inneren Haltung vorangegangen.“

Selbst Traditionalisten, die womöglich kritisch anmerken, dass mit Bayer Leverkusen ein Klub diesen Titel gewonnen hat, der aufgrund seiner engen Verbindung zum Bayer-Konzern ein paar Vorteile hat, müssen anerkennen, dass bei Bayer Leverkusen zuletzt schlicht und einfach fabelhaft gearbeitet wurde.

Meisterleistung der Facharbeit

„Der Schlüssel waren die Spieler“, sagte Alonso, Spieler, die sich im Übrigen auch Borussia Dortmund, RB Leipzig und vielleicht sogar Eintracht Frankfurt hätten leisten können. Es handelt sich bei diesem Meistertitel also nicht um einen Sieg des Kommerzes über den moralisch überlegenen Rest, sondern um eine Meisterleistung der Facharbeit auf allen relevanten Ebenen.

Alonso hatte sogar die Größe, ein Stück dieses Erfolges an seine unglücklichen Vorgänger abzugeben, in deren Zeit der nun überwundene Vizekusen-Mythos entstand und gefestigt wurde. Der Titel sei „die Konsequenz einer Top­arbeit über viele Jahre“, sagte er.

„Ich erinnere mich an Kollegen aus der Vergangenheit: Christoph Daum, Klaus Toppmöller, Roger Schmidt und viele mehr. Ich will das teilen mit vielen Leuten.“ Und zumindest solange Leute wie Xhaka und der immer entfesselter spielende Wirtz im Klub bleiben, muss der FC Bayern fürchten, einem Konkurrenten gegenüberzustehen, der tatsächlich besser ist.

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