50 Jahre Abba: Einmal die Königin sein

ABBA gewannen vor 50 Jahren mit „Waterloo“ den ESC – und veränderten Pop für immer. Am Anfang gab es Hass, die Band blieb aber liebenswürdig.

Tanzende un Musizierende Verkleidete

Abba wird nie altmodisch: Jugendliche Fans in Brighton im April 24 Foto: Alberto Pezzali/ap

Es ist schön, dieses Märchen aus der Welt des Pop erzählen zu können. Wenigstens in Aspekten, vollständig ist es nicht zu überliefern, denn es kommen ständig Details hinzu, etwa die Geschichte eines neunjährigen Mädchens, das auf einer Klassenparty in Berlins Neukölln sich vom DJ, dem Lehrer, „Dancing Queen“ wünschte und dann, so wird es berichtet, auf dem Dancefloor zu einer solchen auch wurde, glücklich: Abba.

Besser: ABBA, nach den Anfangsbuchstaben der schwedischen Gruppe. Sie verkörpern das erstaunlichste Phänomen der jüngeren Popgeschichte.

Vor 50 Jahren, da waren die vier Mitglieder dieser Band, also Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und (Anna-)Frid Lyngstad, auch schon keine Teenies mehr, gewann das Quartett in Brighton beim Eurovision Song Contest mit „Waterloo“. Sie waren perfekt, sie hatten das Momentum der Zeit. Frisch, fröhlich, dem Leben zugetan, antidepressiv.

Der Contest, bis dahin ein chansonhaft orientierter Wettbewerb, war an einem Abend, unwiderruflich, zu Pop geworden. Dass die Skandinavier sich trauten, dort zu performen, hatte den simplen Grund, dass es damals keine andere Chance für Bands jenseits der angloamerikanischen Sphäre gab, Eintritt in die Welt des Pop zu bekommen: Der ESC – ein Türöffner vor 200 Millionen Zuschauerinnen* zur globalen Aufmerksamkeit.

Karriere mit Hass ausbauen

Und so geschah’s. Nach „Waterloo“, No. 1-Hit in einer Fülle von Ländern, kamen, u. a.: „Money Money“, „One Man, One Woman“, „Take A Chance On Me“, „Fernando“, „S.O.S.“, „Chiquitita“ and you name it … bis in die frühen Achtziger, als die Band ihre gemeinsame Arbeit beendete, „The Way Old Friends Do“, dazwischen „Angel Eyes“, „Super Trouper“, „The Winner Takes It All“, aber als „Killer Song“, also als Track, der buchstäblich alle Schichten und Klassen auf den Dancefloor einzusaugen wusste, eben: „Dancing Queen“, eine Hymne an Lebenslust und Neugier. (Kein Wunder, dass zwei der schönsten australischen Filme, „Muriels Hochzeit“ und „Priscilla“ sich mit Sounds von ABBA versorgten, quasi Treibersoftware des Lebens.)

Es ließe sich sagen: „Thank You For the Music“: Dass diese Band bislang 700 Millionen Tonträger verkaufte, dass sie als eine Art Volxmusikgloballieferant von Europa über Aus­tralien, Asien und Lateinamerika bis heute erinnerlich sind, dass ihre Lieder bis in jüngste Generationen Widerhall, und das gerne, finden, erstaunt auch deshalb, weil keine Popgruppe ihre Karriere mit soviel Hass ausbauen musste.

Hässlich kleingehalten

In der britischen Presse wurden sie nicht kritisiert, vielmehr niedergemacht. Nichts seien sie als ein Stück „glänzende Scheiße“, kaum mehr als „Fürze des Pop“ – und das nicht in digitalen Foren, sondern in den Medien der auflagenstarken Pop-Magazine.

Niemand, der ästhetisch genau prüfte und etwa mal notiert hätte, dass ABBA komplexere Klangarrangementsideen als die Beatles oder die Stones hatten und diese hörbar an den sensationellen Produkten von Tamla Motown orientiert waren, heute würde man sagen: Ihre Songwritingkunst hatte mehr mit Carole King und Taylor Swift als mit Mick Jagger und John Lennon zu tun.

Insofern ist ABBA auch ein Märchen wie das vom „Aschenputtel“. Erst hässlich kleingehalten, ehe es, schwanengleich, zur Prinzessin erwächst. Langfristig war es offenbar von Vorteil, dass diese schwedische Musik vor allem von Mädchen und Teenagern, auch von schwulen Boys, sehr gemocht wurde.

Die Fantasien, die sich an ABBA-Lieder knüpften, waren von anderer Art als die von harten Jungs, die auch mal Hotelzimmer zertrümmern oder den Punk geben wollten, Mittelschichtsgeschwader, die an der intensiven Liebenswürdigkeit dieser Schweden zerschellten. In der sensationell klugen Dokumentation von James Rogan („Freddie Mercury“, Dokus über Andy Warhol und „Uprising“) wird sogar die kuriose Episode notiert, derzufolge die Sex Pistols, quasi die Anti-Abbas in ihrem Tourbus „Dancing Queen“ auf dem Kassettenrecorder in Dauerschleife laufen hatten – zum Antörnen!

Bescheiden bleiben

Diese Aschenputtels hatten im Übrigen, auch das zeigt diese verständige und historisch prima informierte Doku, in ihrer Heimat glühende Aversion auszuhalten: Das Kulturestablishment + Antiimps des Landes organisierten Kampagnen gegen die Müllmusik von ABBA, der linke Musiker Mikael Wiehe, eine Art Hannes Wader des Landes, wird zitiert, demzufolge ABBA gefälligst sich um echte Probleme wie Vietnam, Umweltverschmutzung, Klassenkampf und den Kampf gegen die USA zu kümmern hätten.

ABBA mithin aus deren Perspektive: ein Verblendungszusammenhang, eine Gemeinheit im Ästhetischen. Ein politisches Missverständnis, denn ABBA repräsentierten viel mehr als Bubble F*ck Gum, eher waren sie ein popästhetischer Sehnsuchtsort für politische Wünsche, die sich nicht völkisch oder in den Buchstaben des Hasses deklinierten.

Was natürlich ihre Kritiker auch immer an den Rand des Wahnsinns trieb, war, dass die vier Schwedinnen* quasi als Graswurzelbewegung gegen ihr Einverständnis funktionierten. Wurden sie darüber wütend oder frustrierte es sie? Nein, sie blieben von Drogen fern, blieben bescheiden, die Männer Musterexemplare von nontoxischem Habitus – langweilig den einen, beruhigend und sehnsuchtsnährend den anderen, also den meisten.

Vielleicht ließe sich am Beispiel von ABBA die gewöhnliche Geschichte der Siebziger bis Achtziger auch ein wenig anders gewichten: Dass nicht alles auf die schiefe Bahn geriet, sondern eher auf Aufbruch, auf melancholisch eingefärbte (kein ABBA-Lied, allem Dur zum Trotz, ohne Moll-Teppich) Zuversicht geeicht war?

Pop, der nicht ranzig wurde

Nach der Trennung der Gruppe 1981: zwei Paare, zwei Scheidungen, endgültig – aber in freundschaftlicher Gewogenheit. Auch hier – keine Giftigkeiten danach, alle gingen ihrer Wege, einander im Blick behalten. Die Männer, Björn und Benny, bastelten an ihrem inzwischen unter Musikerinnen* hochverehrten Œuvre weiter.

Musicals, „Chess“ u. a., ein Musical über sie, „Mamma Mia“, mit dem sie dann auch, weil es außerdem ein Film mit Meryl Streep wurde, in den USA populär wurden, außerdem ein ABBA-Museum in Stockholm (sensationell!) inklusive Karaoke-Chancen dortselbst, schließlich seit zwei Jahren in London ABBA-Avatar-Konzerte: Die immer ausverkauften Vorstellungen haben ein jüngeres Publikumsprofil als überregionale Tageszeitungen heutzutage.

ABBA – das ist Volxmusik auch in dieser Zeit: Pop, der nicht ranzig wurde. Mit ABBA ist die Welt nicht in Ordnung, aber auch nicht aus den Fugen, das ist die Botschaft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.