Autorinnen über die Midlife-Krise: „Was kann man noch erreichen?“

Die Hamburger Autorinnen Katrin Seddig und Ella Carina Werner über bauchtanzende Mütter, das Recht zu klagen und die Komik der Midlife-Crisis.

Zwei Frauen stehen lachend vor einer schwarz-weiß besprühten Wand

Die Hamburger Autorinnen Katrin Seddig (l) und Ella Carina Werner Foto: Mauricio Bustamente

taz: Sind Sie vor oder nach der Midlife-Crisis, Frau Seddig und Frau Werner?

Katrin Seddig: Ich hatte gar keine richtige Midlife-Crisis. Ich bin jetzt stärker in der Krise, und ich würde sagen, ich bin nicht mehr in der Mitte meines Lebens. Wäre ich in der Mitte, müsste ich 108 werden. Und wenn man die Mitte als längeren Zeitraum sieht, dann würde ich sagen, ich befinde mich am Ende der Mitte.

Ella Carina Werner: Ich bin altersmäßig noch nicht so ganz in der Midlife-Crisis. Und ich werde deutlich über 100, da bin ich mir sicher.

Es gibt Studien, wonach die Midlife-Crisis ein Konstrukt ist und andere, wonach unter 20 Prozent der Leute sie erleben. Ist für Sie das Konzept überhaupt schlüssig?

Seddig: Ich finde schon, dass es solche Übergänge gibt, die vielleicht mit dem Alter zusammenfallen, wenn die Kinder aus dem Haus gehen. Bei Ella sind die Kinder noch klein. Ich bin nicht mehr in dem Sinne Elternteil, der Abschnitt ist einfach vorbei, da kommt auch nichts Neues hinterher. Und ich glaube, dass das viele Eltern erst mal trifft. Jetzt ist man von jungen Menschen abgeschnitten, jetzt kommen sie nicht mehr ins Haus, das ist wirklich vorbei.

Werner: Ich habe in meiner Jugend ganz viele Mütter von Freundinnen erlebt, die in große Krisen geraten sind, wenn die Kinder groß wurden. Sie hatten nichts anderes. Dann haben sie teilweise jeden Tag alle Fenster geputzt. Ich komme aus einer westdeutschen Kleinstadt, wo diese Hausfrauenehe noch total üblich war. Ich glaube, das ist dann eine Krise, die von deiner gesellschaftlichen Rolle her hausgemacht und verständlich ist. Da sind wir heute insgesamt deutlich weiter, weil viele von uns Jobs haben, über die sie sich definieren oder Freundeskreise. In meinem Bekanntenkreis haben bestimmt 50 Prozent der Frauen aber gar keine Kinder.

54, geboren im brandenburgischen Strausberg, ist Autorin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Nadine“ erschien 2023 bei Rowohlt. Am 6. 6. startet im Hamburger Nachtasyl mit ihr die LeseFilmMusikbühne „Wir sind spät, aber es ist noch heute“.

Erleben die dennoch eine Midlife-Crisis?

Werner: Ich glaube, man setzt sich als Frau ab 40 mit dem Thema Altwerden auseinander, egal ob mit oder ohne Kinder, weil es von außen an einen herangetragen wird. Es gibt immer noch das Bild, dass ältere Frauen nicht mehr so attraktiv sind. Ich bekomme bei Kolleginnen mit, dass man dann nicht mehr so gefragt wird für Auftritte, zumindest beim Fernsehen. Aber das muss nicht zwangsläufig eine problematische Krise sein, sondern kann auch einfach eine Umbruchszeit sein.

Aber wenn man als jemand, die davon lebt, nicht mehr gefragt wird, aufgrund von Äußerlichkeiten, auf die man keinen Einfluss hat – das ist doch ein Problem.

45, geboren im ostwestfälischen Bad Oeynhausen, lebt in Hamburg als Autorin und Herausgeberin der „Titanic“. Ihr letztes Buch „Man kann auch ohne Kinder keine Karriere machen – Geschichten aus meinem Leben“ erschien 2023 bei Rowohlt.

Seddig: Ich hatte mich jetzt für einige Stipendien und Preise beworben, und über die Hälfte dieser Ausschreibungen sind für Leute bis maximal 40. Ich frage mich, ob diese Stipendiengeber meinen, dass man, wenn man als Künstlerin älter wird, automatisch jetzt genug Geld verdient oder man jetzt halt Pech hat.

Werner: Viele tolle Schriftstellerinnen fangen ja auch erst mit 40 Jahren an, und dann ist es ärgerlich, wenn es kaum Förderungsmöglichkeiten gibt.

Seddig: Und gerade Frauen können sich eigentlich erst dann darauf konzentrieren, weil die Kinder dann aus dem Haus sind. Ich konnte mich früher zum Beispiel gar nicht für Aufenthaltsstipendien bewerben, weil ich alleinerziehend war. Heute nehme ich fast alles, was ich haben kann, egal wie wenig Geld angeboten wird, damit ich überhaupt irgendetwas verdiene. Dabei bin ich nach außen hin erfolgreich, weil ich sechs Romane in einem großen Verlag veröffentlicht habe.

Sehen Sie auch eine Chance in der Midlife-Crisis?

Werner: In meinem eigenen beruflichen Fortkommen ist das gar nicht so ein Problem. Ich bin als Solo-Autorin erst vor drei Jahren in Erscheinung getreten und das läuft wirklich gut. Das liegt auch ein bisschen daran, dass es im Satirefeld weniger ums Aussehen geht als um Erfahrung, auch eine Abgebrühtheit – da kommt mir das Älterwerden sehr entgegen. Aber ich kenne viele sehr frustrierte, sehr traurige weibliche Comedians um 50 Jahre, und die werden tatsächlich fast gar nicht mehr gebucht, und dann ist es auch fast egal, wie sie aussehen.

In einem Ihrer Texte schreiben Sie: „Mit den Jahren wird das Leben immer wunderbarer, vor allem als Frau.“ Und dann drei Beispiele: kein Sportunterricht mehr, keine schlechten Flirts und irgendwann das Ende der lästigen Bluterei. Ist das ein Gegenrudern gegen das Opferbild?

Werner: Ich nutze das humoristisch, und auch aus eigener Überzeugung, weil ich eben finde, dass es Vorteile gibt. Es ist eine Form von Empowerment. Neulich gingen ein paar junge Männer an mir vorbei und ich fragte mich: Quatschen die mich jetzt an? Da rief der eine: „Grüß’ dich, Alte“ und die mussten lachen – und ich auch. Ich fand es superlustig, aber man könnte es auch als Altersdiskriminierung sehen.

Sie haben einmal geschrieben, es gebe wenig attraktive Rollenmodelle für die alternde Frau jenseits der Oma und der komischen Frau, man müsse eigene erfinden. Ist das immer noch so, Frau Seddig?

Seddig: Das Gute ist, dass unsere Generation sich in einer großen Gemeinschaft wiederfindet, die sich öffentlich äußert. Das hatten unsere Vorgängerinnen nicht. Aber ich möchte noch mal zur Midlife-Crisis zurück. Ich habe immer gedacht: Männer haben sie, Frauen nicht.

Im Guten oder im Schlechten?

Seddig: Ich dachte: Bei Männern ist es albern, sie müssen sich profilieren, Frauen nicht. Die kommen besser mit ihrem Schicksal klar. Aber das heißt auch: Sie dürfen diese Krise gar nicht haben. Ich glaube, dass dadurch, dass die Geschlechter sich immer mehr angleichen, auch Frauen diese Krise zugestanden wird.

Was gewinnen die Frauen dadurch?

Seddig: Wenn man sich bewusst wird, dass das halbe Leben vorbei ist, kann einen das schon erschrecken. Was kann man denn jetzt, wenn die Kräfte schwinden, überhaupt noch erreichen? Falls man irgendwann mal eine Vorstellung davon hatte, wer man sein könnte, dann hat sich das jetzt ganz schön zusammengestaucht. Was ich für mich persönlich sagen kann: Die Wechseljahre, die ja eher am Ende der Mitte kommen, sind ein starker Einschnitt, körperlich und psychisch.

Können Sie das beschreiben?

Seddig: Diese extremen Schlafstörungen treiben viele Frauen wirklich in die Depression. Man kann Hormone nehmen, man kann Sport treiben, es gibt viele Ratgeber, was man alles machen kann, aber am Ende bleibt, dass man körperlich wirklich zu kämpfen hat.

Ist es nicht fatal, Frauen in diesem Alter auf ihre Hormone zu reduzieren?

Seddig: Frauen sagen auch: Wir wollen nicht nur als die Leidende dargestellt werden. Die körperliche Ebene lässt sich aber auch nicht wegdenken. Wenn es ein großes körperliches und psychisches Problem ist, dann sollte man auch nicht so tun, als wäre es nicht da. Gerade erzählte mir eine Freundin, dass sie zu zwei älteren Frauen sagte: „Es geht mir nicht so gut, ich habe mit Schlafproblemen und den Wechseljahren zu kämpfen.“ Daraufhin meinten die: „Je weniger man davon redet, desto besser.“ Das war genau die Einstellung meiner Mutter und der ganzen Generation, dieser harten Frauen: „Darüber redet man nicht.“

Hat ein Konzept von Wechseljahren, das primär mit Verlust, Schmerz und Beschwerlichkeit verbunden ist, etwas von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung?

Seddig: Aber diese Erwartung hatte ich nicht. Ich habe mich immer als jemand gesehen, der nicht jammert, sondern einfach trotzdem zur Arbeit geht. Aber jetzt, wenn ich wochenlang keinen Schlaf habe, komme ich an meine Grenze, und wenn mir dann jemand sagt: „Rede doch nicht drüber, dann ist das auch kein Problem“, dann könnte ich in Tränen ausbrechen. Damit einher gehen ja auch große Stimmungsschwankungen und ich denke: Was ist das denn? Bin ich eine Memme geworden?

Überdecken dann nicht die Szenarien der angeschlagenen Frau die anderen Rollenbilder?

Seddig: Ich denke nicht, dass es eine Lösung ist, nicht über die Probleme zu reden. Das heißt aber nicht, dass die Probleme mich ausmachen. Ich glaube, das Alter über 50 hält sehr viele tolle Möglichkeiten bereit – aber nicht in erster Linie, weil die Gesellschaft sie anbietet, sondern weil die Frauen über 50 genauer wissen, was sie wollen. Und je mehr ältere Frauen begreifen, in welcher Situation sie sich befinden, umso stärker sind sie bereit, sich zu solidarisieren. Wir haben die Möglichkeit, uns zu vernetzen und zu sagen: Wenn die anderen uns nicht haben wollen, wollen wir uns aber haben. Wir wollen ältere Frauen im Fernsehen sehen. Wir sind jetzt in einer Zeit, in der Frauen einfach dadurch, dass sie mehr sind, Forderungen stellen können und auch teilweise in Positionen sitzen, in denen sie sagen können: Wir wollen jetzt ältere Frauen fördern, nicht weil sie älter sind, sondern weil sie gut sind.

Ist das Thema literarisch ergiebig?

Werner: Ich schreibe relativ viele Geschichten, in denen das eine Rolle spielt. Trotzdem ärgert mich immer, dass ich als Frau anders damit umgehe als meine Kollegen. Die schreiben auch mit Mitte 40 nicht: „Oh, ich werde älter, mein Körper verändert sich.“ Das tragen sie nicht nach außen. Da muss ich mich selber manchmal dazu zwingen, über ganz andere Themen zu schreiben und kann nicht mein Älterwerden reflektieren.

Warum zwingen?

Werner: Weil ich nicht darauf reduziert werden will. Ich will nicht, dass es als spezifisches Frauenproblem angesehen wird. Trotzdem finde ich, dass es viel Komik bereithält, etwa diese seltsamen Flirts, die sich dann ergeben, sodass ich doch immer wieder gerne darauf zurückkomme.

Seddig: Bei mir werden die Figuren in meinen Büchern mit mir älter. In dem Buch, an dem ich aktuell schreibe, gibt es vier Hauptfiguren und zwei sind Frauen über 60, also noch mal älter als ich. Die Männer sind 17 und 38, also junge Männer.

Sie schreiben sich voraus.

Seddig: Das habe ich sonst nicht gemacht. Eine Freundin von mir ist bereits 60 und ich sehe: Sie ist genau so wie vor 20 Jahren. Und mir ist klar geworden: Wenn ich zehn Jahre älter bin, werde ich trotzdem so sein wie jetzt. Für mich spielt mein eigenes Älterwerden für die Texte, die ich schreibe, eine große Rolle. Aber es ist keine Klage.

Ich frage mich, ob die Midlife-Crisis so schmerzhaft ist, weil man merkt, dass man nie ankommen wird.

Seddig: Eine Freundin von mir hat es so formuliert, dass sie das Gefühl hatte, Jahr für Jahr wird alles immer ein bisschen besser. Die Kinder werden unabhängiger, die finanzielle Situation wird besser, die Wohnsituation wird besser. Und nun gibt es einen Punkt, ab dem alles ein bisschen schlechter wird. Man muss sich mit Dingen arrangieren, die man mit 30 nicht so gut hätte aushalten können. Aber was im Idealfall wächst, ist die Resilienz. Bei Dingen, die mich früher verrückt gemacht haben, denke ich jetzt: Irgendwie wird sich das schon lösen. Aber wir leben in einer Zeit, in der tatsächlich viele Sachen schlechter werden: Klimakrise, zunehmende Rechtsradikalität. Ich denke: Muss ich jetzt meine Wechseljahre haben, wo alles so schlimm ist? Aber für die Kinder ist es noch schlimmer.

Werner: Ich ganz persönlich habe das Gefühl, dass ich angekommen bin, dass ich jetzt auf einem richtig guten Plateau bin, familiär, privat und auch beim Schreiben. Mein Gefühl sagt mir, dass ich meine 40er-Jahre vielleicht am besten genießen kann und dass es danach möglicherweise wieder kacke wird. Deswegen versuche ich, die Zeit jetzt ein bisschen zu genießen.

Wie haben Sie Ihre Mütter in dieser Phase erlebt?

Seddig: Meine Mutter sollte möglichst zu Hause sein. In dem Moment, wo sie sich draußen für irgendwas interessiert hat, ist mein Vater schon verrückt geworden: Was sie da eigentlich will, warum sie da überall hingehen muss. Ella, du kommst aus einem bürgerlichen Elternhaus, wo das sicherlich viel akzeptierter war.

Werner: Es war super schräg, meine Mutter ist als Bauchtänzerin aufgetreten. Da war das Alter auch egal: als Orientalin, was man inzwischen ja auch als kulturelle Aneignung sehen kann, nachts durch die Dörfer zu ziehen. Eine Mutter, die nachts noch unterwegs ist!

Wie kam Sie dazu?

Werner: Ihr war, glaube ich, langweilig in dieser Kleinstadt mit den Kindern und sie hatte nicht so viele Freundinnen gefunden. Sie war schon immer ein fantasievoller Mensch und hat dann ihr Ding gemacht. Sie ist ein schüchterner Typ, und das war ein Mittel, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Es war wirklich ein großes Glück für mich mit meiner Mutter. Ansonsten kannte ich nur traurige Frauen, die nicht gearbeitet haben, die wirklich depressiv wirkten. Es ist aber auch biografisch angelegt, dass sie sich so etwas getraut hat.

Aber als Arztgattin in der Kleinstadt der 80er-Jahre bleibt es ein kühner Schritt.

Werner: Die anderen waren Arztgattinnen, die vielleicht nur einen Volksschulabschluss hatten und sich als Arztgattin definierten. Meine Mutter ist Bibliothekarin und hat wahrscheinlich deutlich mehr Bücher gelesen als mein Vater. Ich denke, dadurch hatte sie dieses Selbstbewusstsein. Ich glaube, dass wir in unseren Entscheidungen gar nicht so besonders mutig und frei sind, sondern das Produkt unserer Rahmen­umstände.

Seddig: Meine Mutter war im Schichtdienst, sie hatte zu Hause den Haushalt, hatte Landwirtschaft und dann noch drei Kinder. Sie hat sich quasi tot gearbeitet. Und klagen sollte man nicht.

Um so deutlicher fordern Sie das ein.

Seddig: Ich war so ähnlich, und ich habe das auch von meinen Kindern so verlangt. Jetzt ist das erste Mal, wo ich an einem Punkt bin, an dem ich denke: Ich möchte auch mal wieder schlafen, ich möchte mich mal wieder fit fühlen. Insofern würde ich sagen: Diese Phase hat bei mir auch etwas freigesetzt. Andere Kräfte, die durch meine rücksichtslose Art, mit mir selbst umzugehen, vorher nicht so da waren.

Werner: Ich habe gerade nicht das Bedürfnis, irgendwas zu ändern. Im Moment habe ich das Gefühl, froh zu sein, wenn alles so weiterläuft. Ich bin vor allem interessiert, wie es gesellschaftlich weitergeht. Im Bühnenbereich hat sich in den letzten zehn Jahren extrem viel geändert – da war man als Frau mit 40 weg vom Fenster, jetzt ist man es vielleicht mit 50. Was tut sich da noch? Es ist ja traurig, das nur altersmäßig nach hinten zu schieben.

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