Umzug in die Wälder von Borneo

Indonesiens Regierung baut an einer neuen Hauptstadt auf der Insel Borneo. Bis zu zwei Millionen Menschen sollen hier einmal leben

Das Absinken Jakartas, die große Gefährdung durch Überflutungen – das waren wesentliche Argumente, mit denen Indonesiens scheidender Präsident Joko „Jokowi“ Widodo den Bau der neuen Hauptstadt Nusantara („Archipel“) in der Provinz Ost-Kalimantan auf der Insel Borneo durchgesetzt hat. Ein entsprechendes Gesetz wurde bereits 2019 im Parlament beschlossen. Dagegen stimmten nur die Islamisten. Covid verzögerte die Pläne für die „smarte, nachhaltige grüne Hauptstadt“, wie sie die Regierung gern nennt. Nusantara soll viermal so groß sein wie Jakarta, aber zu 75 Prozent aus Wald, Naturschutzgebieten und landwirtschaftlichen Flächen bestehen.

Erst 2022 wurde mit der ersten Bauphase begonnen. Schon zum diesjährigen Nationalfeiertag am 17. August sollen in Nusantara die ersten 1.800 Beamten, Polizisten und Soldaten ihren Dienst beginnen. Am künftigen Präsidentenpalast, dessen Seitenflügel die Schwingen des Nationalvogels Garuda symbolisieren, wird unter Hochdruck gearbeitet. Zum Jahresende sollen schon 60.000 Menschen in Nusantara leben, wo bis vor Kurzem nur Plantagen und Wälder waren. Die Fertigstellung der für bis zu zwei Millionen Menschen geplanten Stadt ist im Jahr 2045 zum 100. Unabhängigkeitstag Indonesiens geplant.

Zwar hat Joko Widodo, der einst Jakartas Gouverneur war, seine immer noch sehr große Beliebtheit mit in die Waagschale geworfen, um die neue Stadt durchzusetzen und sich damit zugleich ein Denkmal zu schaffen. Trotzdem ist der Bau der neuen Stadt umstritten. Denn Jakartas Umweltprobleme, zu denen verschärfender chronischer Wassermangel, Überschwemmungen, Luftverschmutzung und permanente Verkehrsstaus gehören, werden durch Nusantara nicht gelöst, sondern nur gemildert.

Es werden deshalb für Nusantara weitere Argumente bemüht: etwa das, dass Indonesien zu Java-zentriert sei. Schon Staatsgründer Sukarno, der bereits an einen Hauptstadtumzug dachte, bemängelte, dass der Archipel von 17.000 Inseln stark von Java als die am dichtesten besiedelte Region und Zentrum von Politik, Wirtschaft und Kultur dominiert werde. Doch gegen Nusantara sprechen nicht zuletzt auch hohe Baukosten. Deshalb hat die Regierung den staatlichen Anteil auf 20 Prozent, oder umgerechnet 32 Milliarden Dollar, gedeckelt. Das Gros der Mittel soll von privaten Investoren kommen.

Doch außer einigen indonesischen Staatskonzernen halten sich Investoren bisher zurück. Bis zur Wahl am 14. Februar war unklar, wer im Oktober auf Widodo als Präsident folgt und ob Nusantara wirklich zu Ende gebaut wird. Dank seines massiven Einsatzes für den umstrittenen Verteidigungsminister Prabowo Subianto, als dessen Stellvertreter Widodos ältester Sohn kandidierte, gewann dieses Gespann, das sich am stärksten für Nusantaras Weiterbau aussprach. Kritikern zufolge hat Prabowo mit seinem Bruder Nutzungsrechte an großen Ländereien bei der neuen Hauptstadt und dürfte vom Umzug stark profitieren.

Prabowos deutlicher Wahlsieg hat Nusantaras Zukunft sicherer gemacht. Laut dem Chef der Baubehörde der neuen Hauptstadt, Bambang Susantono, stiegen die privaten Investitionszusagen inzwischen von umgerechnet 2,77 Milliarden auf 3,05 Milliarden Dollar. Sie sind aber noch weit vom Bedarf entfernt. Zugleich hatte im März die kurzfristige Ankündigung der Vertreibung von 200 bisher ortsansässigen Familien massive Kritik von Menschenrechtsorganisationen ausgelöst.

Ende März beschloss Indonesiens Parlament, Jakarta künftig einen Sonderstatus als Wirtschaftszentrum zu geben und einen Rat einzurichten, der die weitere Entwicklung der Me­tropole mit ihren umliegenden Satellitenstädten koordinieren soll. Ein Eingeständnis, dass Jakartas massive Probleme bleiben werden. Sven Hansen