NEBENSACHEN AUS NAIROBI VON MARC ENGELHARDT
: Auf zum Boykott!

Arbeits- und mittellose Jugendliche sollen in der Nacht die kenianische Bevölkerung zählen

Heute Nacht findet in meiner Wahlheimat Kenia die nächste Volkszählung statt. Da fühle ich mich in meine tiefste Jugend zurückversetzt, die Zeit meines ersten politischen Engagements: dem Volkszählungsboykott. Den fand ich aufregend, weil ich selbst nicht boykottieren konnte – ich war zu jung, um teilzunehmen. Trotzdem erinnere ich mich, Zählbögen eingesammelt zu haben, die ich im Kölner ‚Anderen Buchladen‘ zu Hunderten anderen in eine Altpapierkiste stopfte. Meine Abneigung gegen Staaten, die zu viel über ihre Bürger wissen wollen, hat seitdem nicht abgenommen.

In Kenia werden tausende arbeits- und mittellose Jugendliche für eine Nacht für ein paar Euro Aufwandsentschädigung vom Staat angestellt, um jeweils hunderte Häuser abzuklappern, in denen sie alle Bewohner zählen und zum Ausfüllen eines Fragebogens bewegen sollen. Dass die Volkszählung nach Sonnenuntergang beginnt und vor Sonnenaufgang endet, lässt viele meiner kenianischen Freunde mit den Zähnen klappern. Denn mittellose Jugendliche, die nachts an die Haustür klopfen, verheißen in Kenia nichts Gutes.

Der Karikaturist Gado zeichnete drei mit Macheten und Knüppeln bewaffnete Jugendliche, von denen einer mit dem Knüppel gegen die Haustür schlug: „Machen Sie auf, hier ist die Volkszählung.“ Genauso, erinnern sich meine Freunde, wurden bei der letzten Volkszählung Häuser im ganzen Land ausgeraubt. Die Polizei war noch machtloser als sonst, weil die Zahl der Überfälle zu hoch war.

Die Regierung beschwichtigt. In ganzseitigen Anzeigen erklärt der Informationsminister, dass Zähler einen Ausweis hätten und auch eine Uniform. Wie diese Ausweise aussehen und um welche Uniform es sich handeln soll, ist völlig unklar. „Sie sieht so ähnlich aus wie eine Polizeiuniform, aber anders“, gab sich ein Mitarbeiter des Informationsministeriums kryptisch.

„Die Uniformen, das sind bunte T-Shirts“, sagte mir später ein Polizist. Und die privaten Sicherheitsfirmen, die fast jedes Haus in Nairobis Mittelstandsvierteln bewachen, rufen zur Kooperation mit den Volkszählern auf, warnen aber davor, sie einzulassen: „Es ist mit einer erhöhten Chance von Überfällen zu rechnen.“

So haben sich viele meiner Freunde entschlossen, die Volkszählung zu boykottieren. „Ein Staat, der nicht für die Sicherheit seiner Bürger sorgt, braucht auch nichts über sie zu wissen“, sagt einer. So ähnlich haben unsere Slogans damals auch geklungen. Nur mussten wir nicht befürchten, von den Volkszählern ausgeraubt zu werden.