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: „Ein Fenster ist nur ein Loch in der Wand“

Architekt Christian Frederik Hansen hat Altona und den Norden Deutschlands klassizistisch revolutioniert: Ein Vortrag in Schleswig erhellt sein Wirken

Interview Petra Schellen

taz: Herr Neumann, warum galt der 1845 verstorbene Däne Christoph Frederik Hansen als revolutionärer Architekt?

Jens Martin Neumann: Weil hierzulande, aber auch in Dänemark, bis ins späte 18. Jahrhundert der behäbige, plattdeutsche Backstein-Spätbarock vorherrschte. Mit Hansen, einem der wichtigsten klassizistischen Architekten Europas, brach eine weiße, radikale Moderne in dieses Milieu ein. Das lag auch daran, dass Hansen an der 1754 gegründeten Kopenhagener Kunstakademie studiert hatte, die Kultur, Architektur, Kunst auf ein neues Fundament stellte. Hintergrund war die Aufklärung als geistesgeschichtliche Strömung, die auf ein internationales Studium ausgerichtet war.

Wie sehen Hansens Gebäude aus?

Hansen fasst jedes Gebäude als Kubus auf. Als einfach hingelegten Quader, dessen Volumen gesichert werden muss. An die Stelle des bis dato üblichen hohen Walmdachs tritt ein flaches, von italienischer Villenästhetik inspiriertes Dach, und das Ganze wird weiß verputzt. Dann wird aus dem Kubus herausgeschnitten, was man braucht. Dabei geht es um Einfachheit. Es wird alles rausgeworfen, was man nicht braucht: Ein Fenster ist zum Beispiel nur ein Loch in der Wand. Man braucht keinen aufwendigen Rahmen und keine repräsentative Fensterbank. Hansen denkt in geome­trischen Grundformen. Er will den Baukörper sprechen lassen, diese Abstraktion, wie man heute sagen würde.

Sind Hansen-Bauten erhalten?

Ja, viele. Allein in Altona, an der Palmaille, stehen neun seiner Stadthäuser. Außerdem gibt es Kirchen etwa in Neumünster, Quickborn, Husum, dazu Rathäuser in Plön, Bad ­Oldesloe und Neustadt/Holstein.

Jens Martin Neumann

Jahrgang 1965, freier Kunsthistoriker und Kurator

War er ein Architekt des Repräsentativen und der Wohlhabenden?

Nicht nur. Hansen dachte, wie viele revolutionäre Zeitgenossen, dass Architektur überall stattfinde, bis in die niedrigsten Bauaufgaben. Er gehörte zu der Generation aufgeklärter, nicht nationalistischer Europäer, die plötzlich auch Packhäuser, Gefängnisse oder Hospitäler entwarfen. Die durch Architektur ausgedrückte soziale Rangordnung, die höfische Repräsentation zählte für sie nicht mehr. Hansen hat auch kleine Kirchen auf dem Lande gebaut und Sozialwohnungen in Kopenhagen. Für Schleswig entwarf er einen hochmodernen Psychiatriebau, wo es ihm darum ging, die unterschiedlichen Stufen der Krankheit auch räumlich zu verteilen.

Wer waren seine Auftraggeber?

Da er ab 1800 Oberbaudirektor des dänischen Gesamtstaats war, der von Island bis Altona reichte, gingen alle zu entwerfenden öffentlichen Gebäude über seinen Schreibtisch. Und da die Bevölkerung Altonas international war, waren auch die dort ansässigen Kaufleute aus Frankreich, England und den heutigen Niederlanden wichtige Bauherrn. Diese kosmopolitische Schicht hatte die finanziellen Mittel, aber auch den kulturellen Hintergrund, Hansens international geprägten Stil zu verstehen.

Waren diese Bauherrn auch durch Kolonial- und Sklavenhandel reich geworden?

Vortrag „Kubus, Säule und Zylinder. Zum Werk Christian Frederik Hansens“ von Jens Martin Neumann, 24. 4., 18.30 Uhr, Landes­archiv Schleswig-Holstein, Prinzenpalais, Schleswig-Friedrichsberg

Einige waren darin verstrickt, Georg Friedrich Baur zum Beispiel, für den Hansen ein Land- und ein Stadthaus baute. Das ist das große Paradox: dass dieselben Menschen, die die Allgemeinen Menschenrechte propagierten, ihren Reichtum auf die Ausbeutung Schwarzer Menschen in den Kolonien gründeten.

Wie lange galt Hansen als modern?

In den letzten Jahren seines langen Lebens kritisierten ihn die Vertreter der aufkommenden Romantik, die den Klassizismus als wenig emotional empfanden und – etwa im Kirchenbau – auf dem Weg in die Neugotik waren und zu mittelalterlichen Glaubensformeln zurück wollten. Das war Hansens Sache nicht.