Nach Ausscheiden von Cum-Ex-Ermittlerin: Rätseln um überraschenden Abgang

Die Kündigung von Anne Brorhilker sorgt für Kritik. Die Opposition fordert Klarheit vom NRW-Justizminister – er muss dem Rechtsausschuss berichten.

Porträt des NRW-Justizministers Benjamin Limbach

Benjamin Limbach steht nach der Kündigung von Cum-Ex Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker in der Kritik Foto: Funke Foto/imago

BERLIN taz | Am Dienstag knallte es in Köln: Die Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker schmiss überraschend hin – und kritisierte die Bekämpfung der Finanzkriminalität in Deutschland scharf: „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird.“ Dies lasse sich in einem Satz zusammenfassen, so Brorhilker zum WDR: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“

Brorhilkers Ermittlungen führten zu den ersten Urteilen im größten Steuerskandal der bundesdeutschen Geschichte – und brachten sogar Olaf Scholz in Erklärungsnot. Die eigens für den Cum-Ex-Steuerskandal eingerichtete Hauptabteilung von Oberstaatsanwältin Brorhilker ermittelte in rund 120 Verfahren gegen mehr als 1.700 Beschuldigte. Banker, Berater und Aktienhändler ließen sich Steuern erstatten, die nie jemand gezahlt hatte. Es geht um einen Schaden in Höhe von ­schätzungsweise 12 Milliarden Euro.

Für Kritiker drängt sich indes die Frage auf, ob Brorhilkers Abgang in Zusammenhang mit dem Streit rund um die geplante Justizreform des zuständigen NRW-Ressortchefs Benjamin Limbach (Grüne) steht. Limbach hatte im Herbst versucht, tiefgreifende Veränderungen bei der Staatsanwaltschaft Köln durchzusetzen, insbesondere Brorhilkers Abteilung aufzuspalten. Der Minister gab sein Vorhaben schließlich auf.

„Ich war über die Pläne, meine Hauptabteilung aufzuspalten, schon sehr überrascht“, sagte Brorhilker. Sie habe „das damals auch nicht als die Unterstützung verstanden, als die es gedacht gewesen sein sollte“. Inzwischen habe es aber viele Gespräche gegeben und das Ministerium habe vier weitere ­Stellen geschaffen. „In Köln sind sie auf einem guten Weg.“ Die ­Gefahr, dass die Ermittlung mit ihrem Ausscheiden ins Stocken geraten könnte, sehe sie nicht.

Scharfe Kritik von SPD und FDP

Grund für ihren Abgang sei nicht der Zwist mit Limbach gewesen, betonte Brorhilker. Die Opposition ist jedoch skeptisch. „Wenn eine Spitzenbeamtin kündigt, steht die Frage im Raum, inwieweit die Landesregierung Verantwortung trägt“, sagt Elisabeth Müller-Witt, Vize-Vorsitzende der oppositionellen SPD-Fraktion im Landtag. Justizminister Limbach habe mit seiner Personalpolitik in der Staatsanwaltschaft und in den Gerichten für eine nie gekannte Unzufriedenheit gesorgt. „Wir müssen aufklären, wieso eine hoch qualifizierte und erfolgreiche Beamtin dem Land den Rücken kehrt“, so Müller-Witt.

FDP-Rechtsexperte Werner Pfeil sieht in Brorhilkers Abgang „tiefgehende Probleme innerhalb der NRW-Justiz“. Seine Fraktion forderte Limbach auf, „sich umgehend zu den Vorwürfen zu äußern, die im Raum stehen. Der Verdacht, dass der Minister gezielt Informationen manipuliert haben könnte, um das Parlament in die Irre zu führen, ist erschreckend“, so Pfeil weiter. Die Oppositionsfraktionen SPD und FDP fordern einen Bericht des Justizministers in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses im Landtag am 3. Mai. Sogar ein Untersuchungsausschuss ist im Gespräch.

Brorhilker habe sich um die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-Ex-Machenschaften außerordentlich große Verdienste erworben, teilte Limbach mit. „Es ist deshalb bedauerlich, dass sie für uns überraschend mitgeteilt hat, die Justiz Nordrhein-Westfalen verlassen zu wollen.“

Die Cum-Ex-Chefermittlerin will sich künftig als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation Bürgerbewegung Finanzwende für den Kampf gegen Finanzkriminalität einsetzen.

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