Aktivistin über „Dessau Nazifrei“: „Es wurde damals schlimm“

Das Bündnis „Dessau Nazifrei“ hat kleine Erfolge erzielt. Doch ausruhen können sich die Aktivisten nicht. Mitglied Antje Tietz über ihr Engagement.

Eine Demonstrantin legt in Dessau 2018 Blumen zum Gedenkstein für Alberto Adriano

Demonstrantin am Dessauer Gedenkort für Alberto Adriano 2018 Foto: Markus Heine/imago

taz: Frau Tietz, 2014 hat sich „Dessau Nazifrei“ gegründet. Wie nah sind Sie schon am nazifreien Dessau dran?

Antje Tietz: Damals wollten wir vor allem die sogenannten „Trauermärsche“ stoppen – also wirklich stoppen. Bei denen ging es um die Bombardierung Dessaus am 7. März 1945 durch die Alliierten. Wir wollten da weiter gehen als die bürgerlichen ­Proteste und diese Märsche blockieren und verhindern. Zu Hochzeiten waren 400 Nazis da. Nun: Seit ein paar Jahren marschieren die zumindest nicht mehr.

Aber Neonazis und Rechtsextreme gibt es in Dessau immer noch?

Leider ja.

Dessau-Roßlau ist die drittgrößte Stadt in Sachsen-Anhalt, aktuell leben etwa 80.000 Menschen da. Zu einer Demonstration gegen die AfD kamen im Januar etwa 200 Menschen. Wie fanden Sie das?

55 Jahre alt, ist familiär antifaschistisch geprägt und engagiert sich seit der Wende gegen Nazis. Von 1992 bis 1998 war sie Mitglied des Landtags in Sachsen-Anhalt. Heute ist sie Teil von „Dessau Nazifrei“.

Da waren wir begeistert. Wir hatten uns das erst am Sonnabend überlegt und zu Montag mobilisiert. So schnell konnten wir aber gar nichts drucken, darum haben wir telefoniert und kleine Kärtchen verteilt. Wir wollten die radikale Antifa genauso erreichen wie einfache Leute, die keinen Bock auf die AfD haben. Für Dessauer Verhältnisse waren dann 200 Menschen richtig viel. Da kamen Student*innen, Beamte und queere Menschen aus der Stadt.

Am 27. April haben Sie noch eine Demo mit dem Titel „Nie wieder 1932“ angemeldet. Was meinen Sie damit?

Am 24. April 1932 haben die Nazis bei der Landtagswahl im damaligen Freistaat Anhalt 40 Prozent bekommen. Viele sprechen von einer „Machtergreifung der Faschisten“. Aber die wurden gewählt – und in Anhalt schon 1932, nicht erst 33. Darauf wollen wir aufmerksam machen, indem wir an historische Orte gehen und erzählen, was kurz nach der Wahl passiert ist.

Was denn?

Es gab Verbote, zum Beispiel durften die Farben der Weimarer Republik nicht mehr gehisst werden, das Bauhaus wurde geschlossen. Der damalige Ministerpräsident Alfred Freyberg (NSDAP) erließ einen Schul­erlass, der das „Germanentum“ nach ganz oben auf den Lehrplan stellen sollte – und es kam zu Verhaftungen. Wir wollen klarmachen, wie schnell das gehen kann. Das versuchen wir schon seit vorigem Jahr, und mich entsetzt, dass manche abwehrend reagieren und sagen: „Es wird nicht so schlimm werden“. Aber wir können uns nicht in Sicherheit wiegen. Es wurde damals schlimm.

Können Sie sagen, wie die Stimmung 1932 in Anhalt war?

Im Stadtarchiv habe ich von Gerhart Seger, der war Chef­radakteur des Volksblatts für Anhalt und als Sozialdemokrat im Reichstag, gelesen. Der hat damals sinngemäß geschrieben: Die nationalsozialistische Bewegung ist in den großen Städten schon im Rückgang und der wird sich fortsetzen, wenn sie erst in der Regierung sind. Dort werden sie sich entzaubern. Der hat damals offenbar auch gedacht, so schlimm wird es nicht. Er hat sich geirrt. Wenig später wurde Seger verhaftet und das Volksblatt wurde für zehn Tage verboten. Später stellte er sich gegen das Ermächtigungsgesetz und kam dann 1933 ins KZ Oranienburg.

Lässt sich das wirklich mit der Situation heute vergleichen?

Wir haben heute noch Vorteile gegenüber damals. Dass die Justiz unabhängig ist, zum Beispiel, oder, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter der AfD nicht so hinterherrennen. Ich denke trotzdem, ein paar Parallelen lassen sich aufmachen.

Aber Sie begeben sich auf dünnes Eis, wenn Sie die AfD mit der NS-Diktatur direkt in Verbindung bringen. Kann das nicht die NS-Diktatur auch verharmlosen?

Ja, das ist eine große Streitfrage. Ich finde, ein großer Teil der Partei ist faschistisch und der andere ist naiv. Man darf die NSDAP nicht verharmlosen. Aber ich glaube nicht, dass ich das tue. Die AfD argumentiert völkisch, rassistisch, frauenfeindlich.

Auch wenn es die Aufmärsche nicht mehr gibt, in Dessau sind heute andere Neonazis unterwegs, etwa von der Kleinstpartei Dritter Weg. Wie sind Rechtsextreme in der Stadt präsent?

Unterschiedlich. Vorige Woche habe ich dreimal bei der Polizei Hakenkreuzschmierereien gemeldet. In Dessau-Süd kleben oft Nazi-Sticker. Selbst bei den bürgerlichen Demonstrationen stehen stadtbekannte Neonazis am Rand und machen Fotos. Die provozieren und bedrohen. Da gibt es dann immer mal wieder kleinere Rempeleien.

Was motiviert Sie, dabei zu bleiben?

Wenn man sich mit Geschichte beschäftigt hat, dann weiß man, dass das wieder passieren kann. Und das darf nicht wieder passieren. Mein Großvater war im KZ Buchenwald inhaftiert. Ich muss das weitermachen, ich wäre ja froh, wenn ich es nicht müsste. Und ähnlich geht es meinen Mit­strei­te­r*in­nen auch. Wir könnten erst aufhören, wenn es solche menschenverachtenden Einstellungen nicht mehr gäbe.

Sie waren ab 1992 für die PDS sechs Jahre lang Mitglied des Landtags Sachsen-Anhalt. Warum sind Sie nun bei der Partei nicht mehr aktiv, sondern engagieren sich bei Dessau Nazifrei?

Sie haben recht, ich bin immer noch Mitglied der Linken, aber ich bin jetzt nicht mehr aktiv. Mir passiert lokal zu wenig Antifaschistisches. Aktuell sehe ich meine Aufgabe im Bündnis. Ich möchte beim Kampf gegen die Nazis mit allen zusammenarbeiten, mit Historikern, Menschen von der Linken, den Grünen oder der CDU. Auch wenn ich deren Politik teilweise nicht in Ordnung finde, gegen die Nazis müssen wir zusammenstehen.

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