Geburt und Klima: Bei Hitze mehr Frühchen

Mit der Erderhitzung steigt das Risiko für Frühgeburten. Warum genau wird derzeit noch diskutiert: Für Mütter und Kinder kann das gefährlich werden.

Ein Brutkasten auf der Neugeborenen-Intensivstation für Kinder in der Uniklinik Essen.

Auf der Intensivstation für Frühgeburten Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Mehr als 13 Millionen Babys kommen jährlich zu früh zur Welt, etwa eine Million davon sterben an den Folgen. Wegen des Klimawandels könnten es in den nächsten Jahren noch mehr werden. Der Grund: An besonders heißen Tagen und bei anhaltender Hitze steigt das Risiko für Frühgeburten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie australischer For­sche­r:in­nen, die in dem Fachmagazin JAMA Pediatrics veröffentlicht wurde.

In Sydney wurden in den Jahren 2000 bis 2020 mehr als 63.000 hitzebedingte Frühgeburten gezählt. Als Frühgeburt gelten Geburten vor der 37. Schwangerschaftswoche. Die Wahrscheinlichkeit stieg mit der Anzahl der Hitzetage im letzten Schwangerschaftsdrittel. In der Studie wurden die heißesten 5 Prozent der Tage eines Jahres berücksichtigt.

Noch sind die vielen hitzebedingten Frühgeburten ein Rätsel. Es gibt drei dominante Theorien: entzündete Zellen, veränderter Blutfluss, gestörter Schlafrhythmus, doch der genaue biologische Zusammenhang ist umstritten. Sicher ist nur, dass es aufgrund der Klimakrise in den kommenden Jahren zu immer mehr Hitzeperioden kommen wird. Und dass Frühgeburten den Kindern schaden können.

„Die Babys brauchen besondere Pflege und Zuwendung“, sagt Anke Diemert, Professorin für Hebammenwissenschaft und Autorin einer deutschen Studie zu hitzebedingten Frühgeburten. Neugeborene müssen zum Beispiel oft einige Zeit im Wärmebettchen verbringen. Dabei handelt es sich um ein beheiztes Bett, in dem Körperfunktionen wie der Herzschlag kontinuierlich gemessen werden. Darüber hinaus weisen Studien auf eine Reihe von Langzeitfolgen hin. Betroffene Kinder haben ein erhöhtes Risiko für Infektionen, Allergien und Asthma.

Das Klima-Risiko

Aber auch die Mütter leiden unter einer Frühgeburt. Sie haben ein höheres Risiko für Depressionen, fühlen sich auch Monate nach der Frühgeburt gestresster, müder und aggressiver als Mütter, deren Babys zum errechneten Termin geboren wurden. Darüber hinaus sind laut einer Studie aus den USA auch Langzeitfolgen zu erwarten: So steigt bei Müttern mit Frühgeborenen das Risiko für Bluthochdruck und koronare Herzkrankheiten wie Herzinfarkt.

Hitzebedingte Frühgeburten treten freilich nicht nur in Australien auf. Der Zusammenhang ist in vielen Ländern der Welt belegt. Beispiele sind China, Nepal, Südafrika, Burundi, Nigeria, Haiti und die USA. Dort wird die Zahl der Frühgeburten auf 25.000 pro Jahr geschätzt.

Auch in Deutschland hat ein Forschungsteam ein erhöhtes Risiko für „späte Frühgeburten“ in den ersten sieben Tagen nach einem Hitzetag und an Hitzetagen mit besonders hoher Luftfeuchtigkeit festgestellt. Als „späte Frühgeburt“ definiert das Forschungsteam eine Geburt zwischen der 34. und 37. Schwangerschaftswoche.

Petra Arck, Medizinerin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Autorin der Studie, erklärt, dass werdende Mütter ein bis zwei heiße Tage gut überstehen, aber am dritten, vierten oder fünften Tag ohne Abkühlung vermehrt vorzeitige Wehen einsetzen. Dies betrifft vor allem weibliche Föten. Arck und ihr Team führen das auf den höheren Herzschlag weiblicher Föten zurück, der sie anfälliger für Hitzestress macht.

Das Warum ist jedoch noch ungeklärt. Das liegt auch an der fehlenden Forschung am Menschen. „Man kann schwangere Frauen nicht einfach zu Forschungszwecken in ein Labor stecken und hohen Temperaturen aussetzen. Das wäre unethisch“, sagt Arck.

Die einzigen Hinweise stammen daher aus der Stammzellforschung und aus Tierversuchen. Dabei wurde festgestellt, dass Rinder bei Hitze mehr Oxytocin und Prostaglandin ausschütten. Prostaglandin macht den Gebärmutterhals weicher und Oxytocin fördert die Wehen. Wirkstoffe, die diese beiden Hormone enthalten, werden daher zur Einleitung von Geburten eingesetzt. Unklar ist jedoch, welche biologischen Zwischenschritte dazu führen, dass insbesondere Prostaglandin bei Hitze verstärkt ausgeschüttet wird.

Hitzebedingter Stress

Eine Theorie besagt, dass Hitze zu einer Entzündung der Zellen führt, ähnlich wie bei einem Sonnenbrand. Das wiederum löst eine „Ent­zün­dungskaskade“ aus, die sich bis in die Nähe des Fötus entwickeln und dort zur Ausschüttung von Prostaglandin führen kann. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Frühgeburt. Die genauen Zusammenhänge dieser Entzündungskaskade sind allerdings noch nicht bekannt.

Nach einer zweiten Theorie weiten sich bei Hitze die Gefäße in der Nähe der Haut und es wird mehr Blut in diese Richtung transportiert. Über die Schweißdrüsen wird dadurch mehr Flüssigkeit verschwitzt und so die Körpertemperatur stabilisiert. Weil dafür mehr Blut in die Nähe der Haut gepumpt wird, wird möglicherweise die Blutversorgung des Fötus vernachlässigt. Dies könnte zur Ausschüttung von Prostaglandin führen und somit das Risiko für eine Frühgeburt erhöhen.

Die Au­to­r:in­nen der Hamburger Studie gehen jedoch davon aus, dass an Hitzetagen auch mehr Blut in Richtung des Fötus gepumpt wird. Sie vermuten, dass dies den ohnehin schon belasteten Organismus der Schwangeren zusätzlich beansprucht und damit das Risiko einer Frühgeburt erhöht.

Andere For­sche­r:in­nen vermuten, dass ein gestörter Schlafrhythmus die Ursache für hitzebedingte Frühgeburten ist. Frauen schlafen während der Schwangerschaft kürzer und wachen häufiger auf. In Hitzeperioden verstärkt sich das Muster, weil es dem Körper schwerer fällt, die Körpertemperatur auf eine angenehme Schlaftemperatur abzusenken. Der Körper schüttet Stresshormone wie Cortison aus, die die Produktion von Prostaglandin anregen.

Mehr Bäume

Da bisher nur wenig über die Details bekannt ist, ist es schwierig zu sagen, wie hitzebedingte Frühgeburten in Zukunft verhindert werden können. Das australische Forschungsteam hat trotzdem eine Idee: mehr Bäume. Sie stellten fest, dass in Gegenden von Sydney mit viel Straßengrün hitzebedingte Frühgeburten deutlich seltener waren. Das liegt am sogenannten Hitzeinseleffekt. Demnach reduzieren Bäume und Parks die Lufttemperatur, während zubetonierte Stadtviertel sie erhöhen. Außerdem verbessern Bäume die Luftqualität und reduzieren Stress – alles Faktoren, die das Risiko einer Frühgeburt senken.

Die Medizinerin Petra Arck hat jedoch Bedenken. Menschen in grüneren Stadtvierteln hätten üblicherweise mehr Geld, verfügten über eingebaute Klimaanlagen und hätten einen besseren Zugang zur Krankenversorgung. Alles Gründe, die ebenso gut eine Rolle spielen könnten.

„Medikation aktiv ansprechen„Solange die Forschung noch keine spezifischen Empfehlungen für Schwangere hat, sollten sie die allgemeinen Ratschläge bei Hitze befolgen, so Arck: direkte Sonne meiden, viel trinken, körperliche Anstrengung vermeiden, weite Kleidung tragen und notwendige Aktivitäten auf die frühen Morgen- oder späten Abendstunden verlegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.