Vorwürfe gegen Hamburger Justiz: Amtlicher Rassismus hinter Gittern

Ein Insasse der Hamburger Untersuchungshaftanstalt meldet die rassistische Behandlung eines Zellennachbarn. Der Senat scheint das zu ignorieren.

Zellentrakt in einem Gefängnis

Untersuchungshaftanstalt am Hamburger Holstenglacis: Beamte sollen sich rassistisch geäußert haben, behauptet ein früherer Insasse Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Es ist eine lange Liste an Vorwürfen von Gewalt durch Justizbeamte und rassistischen Beleidigungen eines Ausländers in der Nachbarzelle, die ein Hamburger Untersuchungsgefangener erhebt: Sätze wie „Halts Maul, sonst kriegst du auf die Fresse. Verpiss dich in dein Gummiboot“, „Du dummes Stück Scheiße, schnapp dir ein Gummiboot und verpiss dich, wo du hergekommen bist“ und „Ich kann dich hier drin auch totprügeln“ will Leon P. etwa am 2. Dezember vergangenen Jahres aus der Nachbarzelle gehört haben.

Außerdem soll der Gefangene gegenüber einem Beamten geklagt haben, dass ein anderer Beamter ihn geschlagen habe. Darauf hätte der gesagt: „Hab ich nicht gesehen. Du bist ’ne Fotze, ’ne kleine Fotze.“

Die taz erhielt ein Schreiben von Leon P., in dem er die Vorwürfe auflistet und welches er nach eigener Aussage fast wortgleich auch als Beschwerde an die Anstaltsleitung schickte. Doch in einer aktuellen Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion zu Beschwerden über Diskriminierung und Hasskriminalität durch Mitarbeitende des Justizvollzugs fand dieser Fall keine Erwähnung.

In seiner eigenen Sache hatte P. noch aus der Untersuchungshaftanstalt Hamburg am Holstenglacis heraus Strafanzeige gestellt. Die Vorfälle hätten sich dort in den ersten Tagen in der Aufnahmestation in Haus A zugetragen. Es sei ein schlimmes Gefängnis, sagt der Mittzwanziger, der inzwischen wieder entlassen ist. „Mit mir waren sie scheiße umgegangen, aber mit den Ausländern noch fieser.“

„Hörst du jetzt auf, du Wichser?“

Er selbst sei in seiner Zelle am Tag nach seiner Verhaftung Ende November sehr wütend gewesen, weil ihm weder bei der Polizei noch in U-Haft erlaubt worden sei, seinen Anwalt anzurufen. Nachdem er nach Tisch und Stuhl trat, womit er in der sonst leeren Zelle niemand hätte verletzen können, seien die Beamten reingekommen, um ihn in den „Bunker“ zu bringen, einen besonders gesicherten Verwahrraum.

Er sei widerstandslos mitgekommen, die Beamten hätten ihn rechts und links an den Armen festgehalten. Da hätte ein Beamter, der hinter ihm stand, versucht, ihm die Beine wegzutreten. Er habe daraufhin in seiner Wut darüber den Kopf gedreht und versucht, den Mann anzuspucken, ohne zu treffen. Im dem Moment hätten mehrere Beamte ihn auf den Boden gedrückt und seinen Arm nach hinten verdreht. Ein Bediensteter, dessen Namen er später notierte, hätte ihm zwei Mal ins Gesicht geschlagen und dabei gesagt: „Hörst du jetzt auf, du Wichser?“

P. schreibt, er habe durch einen im Anschluss angewandten Schmerzgriff noch mehrere Tage Schmerzen gehabt und Abschürfungen im Gesicht auf der Seite, mit der er auf dem Boden aufschlug. Das habe er sich von der Gefängnisärztin dokumentieren lassen. In seiner Sache läuft nun ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gemäß Paragraf 340 Strafgesetzbuch beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE). Das bestätigen auch Innenbehörde und Staatsanwaltschaft.

Doch auch die Dinge, die er wenige Tage später aus der Nachbarzelle vernommen haben will, dokumentierte Leon P. mit minutengenauen Angaben, wann jedes der insgesamt acht beleidigenden Zitate fiel. Und er sagt, er habe dies einer Beschwerde an die Anstaltsleitung angefügt.

Vorfall taucht in Senatsantwort nicht auf

Er tat das auch deshalb, weil er hörte, dass es schon mal Berichte über rassistischen Umgang mit U-Häftlingen gab. Die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft hatte mehrere Anfragen zu „Hasskriminalität“ gestellt, womit auch mit Rassismus verbundene Kriminalität gemeint ist, und fand so heraus, dass es hierzu mehrere Vorwürfe gegen Bedienstete der U-Haft-Anstalt gab. Am 5. November 2022 soll ein Bediensteter einen Gefangenen geschubst haben, sodass er mit dem Fuß umknickte und Schmerzen erlitt, und ihn unter anderem als „Kanaken“ beschimpft haben.

Am 9. Dezember 2022 sollen die Mitarbeiter einen Gefangenen grundlos zu Boden gebracht, gegen Kopf und Füße getreten und mit dem „N-Wort“ beschimpft haben. Und am 26. Januar 2023 soll ein Bediensteter einen Insassen beschimpft haben, er solle zurück nach Senegal gehen, obwohl dies nicht sein Herkunftsland ist, nachdem er nach längerem Warten in einem Haftraum durch Klopfen auf sich aufmerksam machte. Der Beamte und fünf weitere Bedienstete sollen den Mann dann am Boden fixiert und geschlagen haben.

All dies ist nachzulesen in den Antworten auf Anfragen der Linken. Wobei der Senat zusicherte, er werde die Dienstvorschrift des Justizvollzugs überarbeiten, in der „ausdrücklich klargestellt“ werden soll, dass das Verhalten der Bediensteten nicht zu diskriminierenden Behandlungen wegen rassistischer oder kulturchauvinistischer Zuschreibungen führen darf.

Die Vorwürfe vom 5. November 2022 und 26. Januar 2023 beziehen auf das besagte Haus A. Dort ist laut Behörde auch der von P. namentlich genannte Beamte weiter im Dienst. Die Vorwürfe vom 9. Dezember 2022 bezogen sich auf eine andere U-Haft-Station. Hier wurden die Ermittlungen laut Senat eingestellt. Der Gefangene habe bei der Vernehmung gesagt, er könne sich kaum an den Vorfall erinnern.

Die Linke hakte im Februar dieses Jahres nochmal nach, stellte eine neue Anfrage, in der sie nach weiteren Fällen von Hasskriminalität durch Mitarbeitende des Justizvollzugs seit Januar 2022 fragt. Doch in der Antwort vom 23. Februar dieses Jahres fehlt jeder Hinweis auf die Schilderungen des Leon P. und seine Beschwerde.

Das DIE habe im fraglichen Zeitraum „keine weiteren Fälle im Sinne der Fragestellung bearbeitet“, schreibt der Senat. Und bei der Staatsanwaltschaft liege dazu keine Statistik vor. Auch in einer als Anlage angefügten Tabelle, die ältere Beschwerden aus der U-Haft wegen rassistischer Beleidigung und unangemessenen Verhaltens enthält, fehlt der Fall.

Linke bezweifelt, ob Gefangene geschützt sind

Auf die Frage der taz, wieso das so ist, geben die zuständigen Stellen kaum aufschlussreiche Antworten. Die Innenbehörde erklärt, beim DIE sei zwar ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Körperverletzung im Amt zum Nachteil von P. bekannt. Doch dessen Schilderungen zum Nachteil eines anderen Insassen könne „keinem dem DIE vorliegenden Ermittlungsverfahren zugeordnet werden“.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg erklärt zunächst, aufgrund von P.s Unterlagen würden zwei Ermittlungsverfahren geführt, die beide an das DIE versandt wurden. Doch eine nochmalige Nachfrage bei der Innenbehörde ergibt: Es gibt nur ein Verfahren. Und: In der Sache des Nachbar-Insassen, der laut P. ein Flüchtling gewesen sein muss, wird nicht ermittelt.

Die Justizbehörde wiederum erklärt, sie hatte keine Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren gehabt. Zur Frage, warum sie nicht P.s Beschwerde als solche in der Senatsantwort erwähnte, heißt es, die Anstaltsleitung habe den Brief von Herrn P. als Strafanzeige gewertet und an die Staatsanwaltschaft geschickt. Und über Strafanzeigen gibt der Senat in der Kleinen Anfrage keine Antwort, weil die Zeit zu knapp sei, diese händisch auszuwerten. Auch disziplinarisch passierte nichts.

So rutscht der Fall durch. „Die beschriebenen Äußerungen sind rassistisch und es ist unerklärlich, es ist unerklärbar, dass die Behörden den Vorwürfen nicht ernsthaft nachgehen“, sagt indes die justizpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansu Özdemir. Hasskriminalität im Vollzug sei keine Lappalie, sondern stelle die Integrität des Justizvollzugs ernstlich infrage. Die Häufung der Fälle werfe zudem die Frage nach strukturellen Defiziten in Bezug auf Rassismus und Gewalt gegenüber Gefangenen auf.

Özdemir fordert externe Melde- und Ermittlungsstellen, um solche Fälle künftig aufklären und verhindern zu können. Dass die Justizbehörde nicht mal in der Lage sei, die Fallzahlen korrekt zu erfassen, lasse daran „zweifeln, dass die Gefangenen ausreichend geschützt werden“.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben nach Erscheinen des Artikels im dritten Absatz die Formulierung „Anfrage der Linksfraktion“ in „Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion“ präzisiert.

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