Antisemitismus im Deutschrap: Er steht fast allein da

Antisemitismus im Deutschrap ist real. 2018 hat sich der frühere Rapper Ben Salomo aus der Szene zurückgezogen. Nun sensibilisiert er Schüler.

Ben Salomo am Mikrofon mit israelischer Flagge im Hintergrund

Der ehemalige Berliner Rapper Ben Salomo, inzwischen ein Teacher Foto: Monika Wendel/picture alliance

Deutschrap ist einer der letzten Zusammenhänge, in denen man Haltungen vermuten würde, die Solidarität mit Jü­d:In­nen oder gar mit dem Staat Israel transportieren. Die Debatte um Antisemitismus im Rap ist nicht neu. Man findet ihn am extremen Rand zum Beispiel bei Sadie Q, wie auch bei den Stars Kollegah und Farid Bang.

Die erste Reaktion auf „Oktober in Europa“, den auch in der taz schief interpretierten Track der Antilopen Gang, war dann auch eine Überraschung. Dass der eigentlich nicht sonderlich kontroverse Song, dessen Text wieder erstarkten Antisemitismus und die beklemmende Stille in der Linken nach dem Massaker vom 7. Oktober beschreibt, so kontrovers diskutiert wird, könnte auch daran liegen, dass es im Kontext Deutschrap ein Sonderfall ist und man dergleichen also nicht gewohnt ist.

Den szeneinternen Normalfall hat der Berliner Rapper Ben Salomo in seiner Autobiografie „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ beschrieben. „Mich haben Leute gefragt, ob es eigentlich stimmt, dass ich als Jude in Deutschland keine Steuern zahlen muss.“

Das klingt noch ganz lustig, wird aber trist, wenn man davon ausgehen kann, dass Deutschrap nicht nur das Frauenbild von Schü­le­r:In­nen mitformt, sondern auch verschwörungstheoretische Weltdeutungen transportiert.

Eklat um Textzeile

2018, nach dem Eklat um Farid Bangs Zeile „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“, hat sich Ben Salomo aus der HipHop-Szene zurückgezogen. Seitdem macht er Bildungsarbeit, vor allem an Schulen. Für die Studie „Deutscher Rap will keine Juden in seinem Ghetto. Antisemitismus in der deutschen Rapszene und der Jugendkultur“ haben die Autoren fünf Veranstaltungen mit Salomo in Realschulen und Gymnasien in Bayern und Hessen begleitet.

Die von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Auftrag gegebene Auswertung gibt einen Einblick in Möglichkeiten und Grenzen der Bildungsarbeit zum Thema. Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit in Schulklassen ist die Erfahrung des israelischstämmigen Künstlers, der mit seiner Konzertreihe „Rap am Mittwoch“ über Jahre eine wichtige Figur der Berliner Szene gewesen ist: Vom besten Freund verprügelt, nachdem der erfahren hat, dass Salomo Jude ist, und immer wieder die Inhaftnahme für die Politik Israels. Sein Auto sei angezündet worden. Schü­le­r:in­nen wiederum berichten von antisemitischen Anfeindungen nach dem 7. Oktober.

„Antisemitismus sollte nicht lediglich als diskursive Figur der Deutung des Nahostkonflikts, sondern als historisches und gegenwärtiges Moment von selbigen problematisiert werden“, heißt es in der Studie.

Ausdauernd präsent

Die Ansprache der Schü­le­r:in­nen war weniger akademisch-gewunden, sondern ging von der Erfahrung mit dem ausdauernd präsenten Antisemitismus im Deutschrap aus. Dieser ist untrennbar verbunden mit Antizionismus: Die Identifizierung von Israel mit allen Juden, Verschwörungs- und Gewaltfantasien, wie etwa in dem Track „Hausverbot“ von Sinan G, („Der Irani und der Arabi haben Hausverbot in Tel Aviv / Bombengürtel zelame / Gefälschte Pässe in der Hotelsuite / Lak, ich kidnappe eine Boeing und schieß auf deine Family“).

Gefolgt von einem Theorieblock, der von der IHRA-Definition von Antisemitismus ausgeht. Bildungsarbeit heißt auch, dass Leute miteinander reden, oder im Stil der Studienautoren formuliert: Teilnehmende sollen „wiederholt einbezogen“ werden, „um … ihre Wissensbestände zu sondieren und als intersubjektive Fixpunkte von Anschlusskommunikation zu rahmen“.

Der Duktus der Studie ist nicht nur furchtbar schwergängig, er verdeckt auch das Grauen des Gesamtzusammenhangs. Der 7. Oktober scheint als Wendepunkt immer wieder durch. Etwa in der Zusammenfassung einer Debatte zwischen einer Schülerin und Salomo.

Lange Konfliktgeschichte

„Eine Teilnehmerin hat gefragt, inwiefern denn die Massaker der Hamas auch auf das Agieren des israelischen Staats gegenüber Palästinensern zurückzuführen seien. Es gäbe schließlich eine lange Geschichte dessen, was sie als Konflikt benannt hat. Die Moderation hat … den Angriff der Hamas auf den ursächlichen Kontext ihres Antisemitismus bezogen, dabei die Konfliktgeschichte in groben Zügen konturiert.“ Ben Salomo hat dann den Schülern erklärt, wie antisemitische Propaganda in der Erziehung palästinensischer Kinder eine Rolle spielt.

Zurück zum Song der Antilopen Gang: „Ist auch kompliziert, muss man einfach beide Seiten seh’n / Wenn Terroristen Frau’n in Leichenhaufen vergewaltigen“. Muss man nicht. Die Hamas braucht für ihren Vernichtungsantisemitismus keine Siedler in der Westbank. Aber kompliziert ist es tatsächlich, und zwar gerade nicht im Sinne einfacher Kausalitäten. In welchen groben Zügen genau die Konfliktgeschichte konturiert wurde, bleibt unklar. Der Verweis auf palästinensische Propaganda ist trotzdem keine Antwort auf die Frage einer Schülerin nach den etwa 30.000 Toten, ein Großteil Zi­vi­lis­t:in­nen, im Gaza-Krieg.

Dennoch: Die Studie dokumentiert gelungene Bildungsarbeit: Erfahrungen werden kommuniziert, Menschen sprechen miteinander und lernen etwas, das sie zuvor nicht wussten. Allerdings zeigen sich an ihr auch Grenzen eines polarisierten Diskurses. In seinem neuen Track rappt Ben Salomo (wobei er die letzten zwei Worte mit „Ich sag’s lieber nicht“ ersetzt) blöd-plakativ und relativierend nicht zuletzt „Free Palestine ist das neue Heil Hitler“.

Früher hieß es, man komme aus der Dialektik nicht heraus, heute kommt man nicht mehr hinein. Wenn zum Beispiel das Entsetzen über das Ausmaß der Zerstörung in Gaza und die Frage nach der Geschichte des Konflikts zu Buzzwords werden, die die Relativierung der genozidalen Gewalt der Hamas implizieren sollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.