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: „Manchmal fahren wir Straßenbahn – im Schrank“

Er konnte komisch schreiben und maximal absurd – und war für das stalinistische System wohl eine einzige Störung: Warum sie nun in Hamburg Daniil Charms inszeniert, erzählt Erla Prollius

Interview Alexander Diehl

taz: Erla Prollius, warum ­Daniil Charms? Und warum gerade jetzt?

Erla Prollius: Ja, ich hatte von ihm vorher auch gar nichts gehört, als ein Freund von mir, Slawist, mich auf Charms aufmerksam gemacht hat: Ob mir nicht aufgefallen sei, jetzt gerade die Nawalny-Geschichte, und genau das sei Charms doch auch widerfahren, 100 Jahre früher …

Charms, geboren 1905, war im Stalinismus wiederholt inhaftiert und starb Anfang 1942, während der deutschen Blockade Leningrads, in der psychiatrischen Abteilung eines Gefängnisses. Der Regimekritiker Alexei Nawalny wiederum starb jüngst auch in Haft und unter dubiosen Umständen.

Diese Parallele hat mich wachgerüttelt, ich habe mir Material zu Charms kommen lassen, seine Werke erworben und mit Saskia Junggeburth eine Dramaturgin gefunden, mit der ich auch schon oft zusammengearbeitet habe. Charms hat enorm viel geschrieben, unter anderem zauberhafte Kindergeschichten. Theaterstücke. Hinreißend gezeichnet hat er auch, hatte dabei etwas fast Kindliches, was ja eine große Qualität haben kann bei einem intelligenten Mann. Oh, einen enormen Verschleiß an Frauen hatte er wohl auch.

Foto: Walter Schmitz

Erla Prollius geboren 1940 in Bayreuth, ist Schauspielerin, Sprecherin, Schauspiel­lehrerin und ­Regisseurin.

Wie sind Sie vorgegangen?

Es war eine richtige Fleißarbeit, aber so wurde Charms jeden Tag ein wenig lebendiger für uns. Es gibt ja ein Tagebuch, auch sein Ende ist darin geschildert, nicht von ihm selbst, sondern von seiner Frau: Die schildert seine letzten Stunden. Mit meinen vier Schauspielern haben wir an den Texten entlang gearbeitet, auch improvisiert. Aus dieser einen Berichterstatterin habe ich dann eine Frau gemacht: Das war die, die Charms ständig verhaften ließ und auch untersuchen durch Mediziner. Übelste Machenschaften also, aber heute eben wieder schrecklich vertraut.

Wie ist das Ganze strukturiert?

„Wir hauen die Natur entzwei – ein Daniil-Charms-Abend“: Fr, 3. 5., 20 Uhr, Hamburg, Goldbekhaus, Moorfuhrtweg 9

Sa, 29. 6., 20 Uhr, MUT!-Theater, Amandastraße 58

Wir haben eine Erzählerin, im Grunde die Ehefrau, die auch seine Untreue ertragen musste und damit sehr tolerant umgegangen ist. Charms lasse ich von zwei Männern spielen: Das ist einmal der introvertierte Charms und einmal der extrovertierte. Der eine ist stolz auf seine Ehe, auch auf seine Vielweiberei; der andere ist ein ganz Stiller, der auch mal im Schrank spielt: Wenn er schreibt, sitzt er da sehr beengt und tippt in die Maschine. Überhaupt: Der Schrank drängt sich bei Charms geradezu auf. Der Bühnenbildner musste gar nicht lange nachdenken, den Hinweis hat der Autor selbst gegeben. Das hat natürlich einen eigenen Zauber: So drängen sich nun auch mal alle Schauspieler da hinein und spielen Straßenbahnfahrt mit Hindernissen.

Alexander Nitzberg, der als Übersetzer viel getan hat für Charms in Deutschland, erzählte mir: Wenn einem etwas Absurdes widerfährt, wenn Dinge nebeneinander stehen, vollkommen unkoordiniert, sagt man im Russischen offenbar wirklich: „Das ist ja der reine Charms“, ein wenig wie bei Kafka.

Also, wir haben zu ihm auf jeden Fall einen sehr schönen, lustigen Abend hinbekommen, der aber auch zum Nachdenken ist. Bei Charms ist es nie ein weiter Weg von ausgesprochen Komischem zu etwas ganz anderem, sehr Ernsten, Abgründigen.