Migrantisches Fußballteam in Brandenburg: Mit Löwen spielt man nicht

Der Afghane Murtaza Alizada unternimmt alles, um mit den Forster Löwen Teil des deutschen Fußballs zu werden. Doch die Widerstände vor Ort sind groß.

Zwei Spieler beim Fußballhallenturnier klatschen sich ab

Die Forster Löwen beim Integrationsturnier ohne deutsche Beteiligung in Eisenhüttenstadt Foto: Julian Müller

„Eisen, Eisen“, skandieren einige Zuschauer frenetisch in der Inselhalle von Eisenhüttenstadt, während sie in schnellem Rhythmus in die Hände klatschen. Sie sind noch nicht lange in Deutschland. Sie kommen von der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt, spielen für das Team „EAE Eisenhüttenstadt 2“ selbst bei dem Hallenfußballturnier mit und feuern ihr erstes Team an, das gerade das Finale bestreitet. Zusammengesetzt sind die beiden Mannschaften dieses Mal mit Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern, die es zuerst einmal in die erste sozialistische Planstadt der einstigen DDR verschlagen hat.

Integrationsliga-Ost nennt sich die Hallenturnierserie, an der sie teilnehmen. Neun Teams haben sich an diesem Samstag Mitte April in Eisenhüttenstadt angemeldet. „Weltweit 1“ und „Weltweit 2“ sind dabei oder auch der FC Albanien. Ein deutsches Team oder zumindest deutsche Spieler sind nicht vor Ort. Betreuer vom Deutschen Roten Kreuz schauen zu. Die Turnierleitung und die Verpflegung ist in brandenburgischer Hand. Es gibt wahlweise Bockwurst oder Wiener Würstchen mit ungetoastetem Toast sowie Kuchen und Kaffee.

Wohlwollend kann man von Integration auf bescheidenem Niveau sprechen. Realistischer betrachtet gleicht das Ganze eher einer Netzwerkveranstaltung für eine Betroffenengruppe. Wie schwierig es für ein migrantisches Team in Brandenburg ist, der deutschen Fußballgemeinde zu begegnen, kann wohl kaum einer so kenntnisreich erzählen wie Murtaza Ali­za­da, der mit zwei Teams der Forster Löwen dabei ist.

Der 35-Jährige ist, salopp gesagt, ein Integrationsstreber. Was er in Deutschland seit 2016 meist zu hören bekommt, ist der Satz: „So schnell geht es aber auch wieder nicht.“ Ali­za­da stammt aus der zweitgrößten afghanischen Stadt Herat und verbrachte früher mit seiner Familie die Sommermonate im grenznahen Iran, wo es sich besser Geld verdienen ließ. In dieser Region, berichtet er, habe er für Exil-Afghanen eine eigene Fußballliga aufgebaut. Mittlerweile gebe es solche Ligen im ganzen Iran. Er zeigt abfotografierte Urkunden, die er für sein Engagement erhalten hat, auf dem Handy. Als sein Vater, der bei der Armee war, von den Taliban erschossen wurde, flüchtete er mit seiner Familie nach Deutschland.

Gute Erfahrung in Herzberg

Seither versucht er sich hierzulande, vornehmlich über den Sport einzubringen. Bei seiner Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt kümmerte er sich schon um das dortige Fußballteam. An seinem ersten Wohnort trat er sogleich in Herzberg bei Neuruppin in den Fußballverein ein. „Eine gute Erfahrung“, berichtet Ali­za­da. „Gute Menschen waren dort, die sehr geholfen haben.“ Doch die Einsamkeit seiner Frau bewog die Familie 2017 nach Forst nahe Cottbus zu ziehen, wo bereits ihre Schwester mit Familie wohnte.

Portraifoto von Murtaza Alizada

Murtaza Alizada Foto: privat

Dort, beim SV Lausitz Forst, berichtet Alizada, habe man ihm gleich erklärt, dass für ihn kein Platz in der Mannschaftskabine sei. Er solle sich doch in einem gesonderten Raum umziehen. Auf Nachfrage der taz erklärt ein Mitglied des Vereins, alle 20 Kabinenplätze seien schon belegt gewesen, weshalb Ali­za­da gebeten worden sei, in den Raum der zweiten Mannschaft zu gehen, die zeitgleich trainiert habe. Murtaza Alizada bestreitet die Darstellung. Deutsche, die neu zum Verein gekommen wären, hätten sofort einen Platz in der Kabine bekommen, die häufiger auch nicht voll besetzt gewesen sei.

Alizada wechselte zum TV 1861 Forst und gründete parallel 2018 mit Unterstützung seiner Frau die Spielgemeinschaft Forster Löwen, ein Migrantenteam mit Fußballern aus acht Nationen, die vom TV 1861 einen Trainingsplatz zur Verfügung gestellt bekamen. Nur die Umkleidekabinen durften sie nicht benutzen. Aus Angst vor Diebstahl, erzählt Alizada. Sie bekamen einen Raum ohne Toi­let­te und Duschen zugewiesen.

Bei den Forster Löwen wurden Jungsteams aufgebaut und ein Mädchenteam, bei dem wegen des spärlichen Angebots in Forst auch einige Deutsche mitmachen. Die Kinder bei den Forster Löwen erhalten Deutschkurse und Nachhilfe. Für geflüchtete Frauen gibt es ein Schwimmkursangebot. Nebenbei machte Alizada den Trainer- und Schiedsrichterschein und brachte jeweils weitere Anwärter aus seinem Verein zu den Kursen.

Einsames Leuchtturmprojekt

„Einen Tausendsassa“ nennt ihn Uwe Koch, der das bundesweite Programm „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbunds in Brandenburg betreut. „Aber er ist kein Einzelkämpfer“, betont Koch. „Er hat mich und mein Team als Freund und Verbündete.“ Die Forster Löwen würden überdurchschnittlich mit Fördergeldern unterstützt werden.

Alizada ist beim Projekt „Integration durch Sport“ auf Minijobbasis angestellt. Koch sagt: „Er ist das Kompetenzzentrum.“ Es ist nicht leicht auszumachen, wer denn wen mehr braucht. Die Forster Löwen sind für den organisierten Sport in Brandenburg ein einsames Leuchtturmprojekt. Außenministerin Annalena Baerbock hat sich schon als Kanzlerkandidatin das gelbe Trikot des Vereins übergezogen. Brandenburgs Integra­tions­ministerin Ursula Nonnemacher hat mit Alizada in ihrem Ministerium gesprochen.

Jenseits der Scheinwerferveranstaltungen sind die Widerstände jedoch so immens, dass Murtaza Alizada im Februar der taz schrieb: „Ich möchte diese Stadt verlassen, damit der Hass, den sie in mein Herz gelegt haben, ausgelöscht wird.“ Sein Frau, erzählt er nun im April, sei von Menschen aus Forst gewarnt worden.

Wenn ihr Mann so weitermache, könne der Familie etwas Schreckliches passieren. Sie wollte, dass er mit seinem Engagement für die Forster Löwen aufhört. Bei der letzten Landtagswahl 2019 lag der Stimmenanteil der AfD in der Kleinstadt an der Oder mit 32,7 Prozent weit über dem Durchschnitt von Brandenburg (23,5). Der letzte Verfassungsschutzbericht weist die Region als rechtsextremistische Hochburg aus.

Keine Einladungen zu den Turnieren

Die Vereine in Forst, berichtet Alizada, sind besonders reserviert ihm gegenüber, seitdem er mit den Forster Löwen sein eigenes Projekt vorantreibt. Offenbar wird er als Konkurrenz im Kampf um Ressourcen wie Plätze und Förderungen gesehen. „Zu Hallenturnieren in der Stadt wird mein Team nicht eingeladen, und wenn ich eines veranstalte, kommen die anderen Vereine trotz Einladung nicht.“ Von der Stadt Forst fühlt sich Ali­za­da nur unzureichend unterstützt. Aktuell ist wegen einer Stadionsanierung unklar, wo die Forster Löwen im Sommer spielen sollen. Der für ihn zuständige Sachbearbeiter Sport ist zugleich auch Vorstandsmitglied des SV Lausitz Forst.

Zugleich sind die bürokratischen Hürden so hoch, dass selbst die Helfer Murtaza Ali­za­das aus dem organisierten Sport mitunter daran scheitern. Ein langer Weg musste zurückgelegt werden von der losen Sportgemeinschaft 2018 bis zur Vereinsgründung im Dezember 2022. Weil dann aber wegen eines Satzungsfehlers die Behörden die fehlende Gemeinnützigkeit monierte, konnte vergangenen Sommer das große Ziel, der Einstieg in den Brandenburger Amateurspielbetrieb, nicht umgesetzt werden. Beim Stadtsportbund Cottbus, der die Forster Löwen berät, räumt man ein, einen Fehler gemacht zu haben.

Gegen diesen Schritt gibt es ohnehin bei etlichen Vereinen in Forst und Umgebung Vorbehalte. Die Erinnerung an den ersten zugelassenen Migrantenfußballverein Brandenburgs, den FC Union Cottbus, sind noch recht frisch. Einige Spieler dieses Klubs, davon zeugen einige Spielabbrüche und Sportgerichtsurteile, hatten ihre Emotionen nicht unter Kontrolle.

Unbestritten sind aber auch die Feindseligkeiten, die dem Verein auf und neben dem Platz begegneten (Hakenkreuzschmierereien auf dem Vereinsgelände). Letztlich wurde der Verein 2022 schon nach seiner zweiten Saison für zwei Jahre (ein Jahr davon auf Bewährung) vom Spielbetrieb ausgeschlossen. Die Verantwortlichen von Union gaben das Projekt auf und nehmen nun in Dresden einen neuen Anlauf. Während es bundesweit im deutschen Amateurfußball über 700 migrantische Teams gibt, gibt es in Brandenburg nicht eines. „Man hat sie allein gelassen und dann abgestempelt“, sagt Klaus-Dieter Stenzel, einst Schiedsrichter in der DDR-Oberliga. In Forst arbeitet er im Wahlkreisbüro von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

Strafe für den Schiedsrichter?

Stenzel zählt zu den Unterstützern von Murtaza Alizada. Auch er beklagt die fehlende Hilfe der Stadt für die Forster Löwen. Gerade versucht er Ali­za­da in einer Auseinandersetzung mit dem Fußball-Landesverband Brandenburg (FLB) zur Seite zu stehen. Alizada erzählt, ihm sei vom Sportgericht beschieden worden, seine Schiedsrichterprüfung erneut ablegen zu müssen, weil er eine Partie zwischen der TSV Hertha Hornow und der SPG Schmorgow/Guhrow unberechtigterweise abgebrochen habe.

Er selbst berichtet von körperlichen Bedrohungen sowie rassistischen Beschimpfungen durch Spieler und Zuschauer und einer Flucht mit seinem Auto. Stenzel sagt in aller Vorsicht zum Vorgehen des Verbandes: „Ich gehe davon aus, dass ein deutscher Schiedsrichter anders behandelt worden wäre.“ Der FLB antwortet auf Anfrage der taz, man habe Alizada „zur Bedrohungseinschätzung“ Hilfestellung durch den Schiedsrichterobmann des Fußballkreises Niederlausitz angeboten. Falsch sei die Behauptung, ihm wäre der Schiedsrichterschein entzogen worden. Alizada erzählt, mitunter habe er früher an Wochenenden drei Spiele gepfiffen. Seit diesem Vorfall vergangenen August sei er nicht mehr eingesetzt worden.

Der Alltag abseits des Fußballs ist für Murtaza Alizada ebenso voller Zumutungen. Einen Tag nach dem Hallenturnier in Eisenhüttenstadt, berichtet er, habe ihn ein Mann in Forst, den er vom Sehen kennt, auf der Straße herangewunken. Alizada sagt, er sei hingegangen, weil er glaubte, dieser benötige seine Hilfe. Dann habe der Mann ihm in Gesicht geschlagen und zu Boden geschleudert. Sein Handy sei bei dem Angriff kaputtgegangen. Die Frau und Tochter des Angreifers hätten ihn Stunden später darum gebeten, doch von einer Anzeige abzusehen. Alizada sagt: „Vielleicht ist es besser so, sonst wird nur alles schlimmer.“

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