Schlankere Verwaltung: Weniger Bürokratie kommt von allein

Seit die FDP regiert, sind die Ausgaben für Bürokratie entgegen aller Ziele immer weiter gestiegen. Das ist aber auch nicht weiter schlimm.

Viele Aktenordner stehen vor dem Kanzleramt in Berlin.

Aktenordner stehen vor dem Bundeskanzleramt im Rahmen einer Protestaktion des Zentralverband des Deutschen Handwerks in Berlin Foto: imago/Florian Gaertner

Diesen Konflikt kann Lisa Paus nur verlieren: Die grüne Familienministerin hat jüngst geschätzt, dass etwa 5.000 zusätzliche Stellen nötig seien, um die geplante Kindergrundsicherung zu verwalten. Die FDP konterte sofort, die Liberalen wollten den Sozialstaat „fitter, nicht fetter machen“.

Fakten zählen in diesem Streit nicht, denn „Bürokratie“ hat in Deutschland einen ganz schlechten Ruf. Politik und WählerInnen sind sich einig, dass sie „verschlankt“ werden muss. Das Schlagwort „Bürokratieabbau“ fand sich daher in allen Wahlprogrammen, auch bei den Grünen.

Entsprechend stolz war die Ampel, als sie kürzlich ein „Bürokratieabbaugesetz“ beschlossen hat, durch das die Wirtschaft 944 Millionen Euro im Jahr sparen soll. Wichtigster Punkt: Deutsche Gäste in deutschen Hotels müssen ihre Adresse nicht mehr hinterlassen. Tatsächlich war es lästig, ständig diese Formulare auszufüllen. Genauso hatten sich die WählerInnen den Bürokratieabbau schon immer vorgestellt.

Wer „Bürokratieabbau“ verspricht, hat einen politischen Konflikt schon gewonnen. Das nutzt vor allem die FDP kräftig aus. Sie tut in jeder Rede so, als ob es eine völlig neue Idee sei, die Behörden zu verschlanken. Doch tatsächlich währt der politische Kampf gegen die Bürokratisierung schon seit Jahrzehnten.

Deutschland geht nicht an seiner Bürokratie zugrunde

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So wurde 2006 der Nationale Normenkontrollrat gegründet, der die Regierung beim Bürokratieabbau beraten soll. Zehn ehrenamtliche ExpertInnen verfassen jährlich einen Bericht, inwieweit die Kosten gestiegen sind, die der Wirtschaft durch die staatliche Verwaltung entstehen. Ergebnis: 2021/22 nahmen die Belastungen um 125 Millionen Euro zu, 2022/23 waren es 164 Millionen Euro zusätzlich.

Diese Zahlen sind durchaus amüsant, weil die FDP bekanntlich seit 2021 mitregiert – und bisher nur Kosten produziert hat. Auch bleibt abzuwarten, wie viel das neue „Bürokratieabbaugesetz“ tatsächlich bringt.

Insgesamt muss die deutsche Wirtschaft etwa 65 Milliarden Euro ausgeben, um die Auflagen der staatlichen Verwaltung zu erfüllen. Das klingt viel, entspricht aber nur 1,58 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Deutschland geht nicht an seiner Bürokratie zugrunde. Zudem sind viele Anforderungen sinnvoll, ob es nun um Krankenkassenbeiträge oder Umweltweltschutz geht.

Auch ist oft gar nicht klar, wie berechtigt Beschwerden von Unternehmen sind. Werden sie tatsächlich von der Verwaltung ausgebremst? Der Normenkontrollrat ist daher begeistert von einem Projekt, das der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck angestoßen hat: In seinem Haus gibt es jetzt „Praxischecks“, die an konkreten Fällen nachverfolgen sollen, ob die Bürokratie Investitionen verhindert.

Die Bürokraten fehlen

Auch ist es nicht fair, nur auf die staatlichen Verwaltungen zu starren. In privaten Firmen ist auch nicht jede Stelle nötig. Der US-amerikanische Anthropologe David Graeber hat vor einigen Jahren eine Umfrage durchgeführt, die in Großbritannien und in den Niederlanden ergab, dass 37 bis 40 Prozent der Angestellten ihre eigene Tätigkeit als „Bullshit Job“ empfanden. Das Gehalt war gut, aber die Aufgabe sinnlos.

Allerdings dürften sich diese Debatten demnächst sowieso erledigen. Der Bürokratieabbau wird kommen – weil die Bürokraten fehlen. Der Fachkräftemangel hat längst auch die Verwaltungen erreicht. Vielleicht dauert es nicht lange, bis alle nostalgisch zurückblicken: Wisst ihr noch, wie schön es war, als der Staat viele MitarbeiterInnen hatte?

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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