Gasflamme, Flußdelta

Im Nigerdelta wird Gas abgefackelt Foto: Katrin Gänsler

Journalismus in Westafrika:Die große Freiheit – vorbei

Ein Stipendium hat Katrin Gänsler vor 16 Jahren nach Westafrika gebracht. Jetzt kehrt sie zurück nach Deutschland – und zieht ein Resümee.

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29.4.2024, 11:22  Uhr

Eins muss auf jeden Fall mit nach Deutschland: das große Ölbild, das jahrelang über meinem Sofa in Cotonou hing. Unzählige angedeutete Menschen verschmelzen zu einer großen Masse. Gekauft habe ich es vor vielen Jahren in Nigeria, Afrikas Riesenstaat mit enormem Ölreichtum, tödlichen Konflikten zwischen Chris­t:in­nen und Muslim:innen, spannenden jungen Au­to­r:in­nen und einer völlig undurchsichtigen Politik. Die Neugierde auf all das trieb mich 2008 zum ersten Mal nach Nigeria. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt dank eines Stipendiums der Heinz-Kühn-Stiftung wusste ich: Ich kehre zurück, um zu bleiben. Daraus sind mehr als 14 Jahre in Westafrika geworden. Ich war Korrespondentin für die taz und die Katholische Nachrichten-Agentur, Reporterin für die Deutsche Welle und viele andere. Zum Monatsende verlasse ich die Region und werde zukünftig wieder in Deutschland arbeiten.

Meine Anfangszeit war geprägt von ständiger Warterei auf irgendetwas: dass nach Tagen endlich wieder der Strom zurück ist, dass die Einwanderungsbehörde meinen Aufenthaltstitel ausstellt, dass es an der Tankstelle wieder Benzin gibt. In Nigeria habe ich den Begriff „fuel scarcity“ gelernt, Treibstoffknappheit. Denn obwohl der Staat Öl exportiert, heißt das nicht, dass es auch Benzin gibt.

Gewartet habe ich auch ungezählte Stunden in den Staus der Millionenmetropole Lagos, zusammen mit 20 anderen Menschen in einen Danfo, einen gelben Minibus, gequetscht. An den Busbahnhöfen im muslimisch geprägten Norden habe ich manchmal Stunden gewartet, bis alle Plätze im Sammeltaxi besetzt waren und es abfahren konnte. Auch wenn viele westliche Ausländer, die dort leben, Horrorgeschichten darüber erzählt haben: Wenn man sich traute, so zu reisen wie alle anderen auch, bedeutete Nigeria trotz einiger organisatorischer Hürden die große Freiheit und das Land der unendlichen Geschichten.

Die Kathedrale hatte sich in ein Flüchtlingscamp verwandelt. Und ich verstand, dass Zuhören oft viel wichtiger ist, als Fragen zu stellen

Das ist Vergangenheit. Vor allem hat die islamistische Terrorgruppe Boko Haram journalistisches Arbeiten und Bewegungsfreiheit im Nordosten ab 2013 zunehmend eingeschränkt. Orte, an die ich einige Jahre zuvor noch problemlos mit dem Auto reisen konnte, wurden unerreichbar. Das Risiko, überfallen zu werden, war zu groß. Boko Haram hat sich zwar ebenso wie die Splittergruppe „Islamischer Staat in der westafrikanischen Provinz“ nicht weiter in Richtung Süden und Westen ausgebreitet. Doch längst haben bewaffnete Banden das Entführungsbusiness übernommen und verschleppen Menschen, um Lösegeld zu erpressen.

Telefonrecherche funktioniert nur begrenzt
Boote auf Fluss, städtisch

Makoko ist der Wasserslum von Lagos Foto: Katrin Gänsler

Das belastet den Alltag von Millionen Ni­geria­ner:in­nen. Und auch mein Arbeiten hat es zunehmend erschwert. Ich kann mir kein Bild mehr vor Ort machen, Menschen treffen und ihnen zuhören. Dabei ist das in ganz Westafrika notwendig. Anders als in Europa funktioniert die Telefonrecherche nur sehr begrenzt. Vor allem schafft der persönliche Kontakt auch Vertrauen.

Mit dem Gebiet, mit den Menschen, die ich erreichen kann, schrumpfte auch die Zahl meiner Quellen. Umso wichtiger wurde es, sie verlässliche auszuwählen und zu pflegen.

Viele Menschen wollten von ihren Erlebnissen erzählen, ganz gleich wie grausam diese waren. Im Mai 2015 verbrachte ich ein paar Tage in Yola, Hauptstadt des Bundesstaates Adamawa. Die katholische Kathedrale Sankt Theresa hatte sich in ein riesiges Flüchtlingscamp verwandelt. Zwei Tage lang hörte ich Frauen zu, die von Boko Haram entführt worden waren, die ihre Männer verloren hatten, die nicht wussten, ob die Terrorgruppe ihre Söhne zwangsrekrutiert hatte. Irgendwann sagte ich Lydia Lagu, die für das Caritas-Komitee für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC) arbeitet und für mich übersetzte, dass ich nun genug Interviews geführt hätte. Sie zeigte bloß auf eine Gruppe von Frauen und sagte: „Auch die möchten noch mit dir sprechen.“ Damals habe ich verstanden, dass das Zuhören oft viel wichtiger ist, als Fragen zu stellen.

Nicht nur in Nigeria wurde Journalismus schwierig. In Mali, Burkina Faso und Niger ist es fast unmöglich, die Hauptstädte noch für Reportagen zu verlassen. In allen drei Ländern verüben islamistische Milizen, die Kontakte zu al-Quaida und dem „Islamischen Staat“ haben, Anschläge und haben mancherorts schon vor Jahren ganze Dörfer besetzt. Und auch als vereinzelte Reisen noch machbar waren, war schon die Organisation mit großem Aufwand verbunden. Im Jahr 2019 musste ich tagelang in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, nach einem Leihwagen suchen. Die Sorge vieler Besitzer, dass das Auto nicht zurückkehrt, war zu groß.

Es sind allerdings auch die Regierungen, die das Arbeiten erschweren. In den Sahelstaaten sind Militärs an der Macht, die mehrfach europäische Jour­na­lis­t:in­nen ausgewiesen haben. Jeder Visumsantrag ist zur Zitterpartie geworden. In den vergangenen Jahren habe ich häufig betont, dass ich keine Französin sei, denn die Wut richtet sich oft gegen die einstige Kolonialmacht. Auch so gelingt es, Berichterstattung zu verhindern. Bei solchen Hürden überlegt man sich genau, ob man den Visumsantrag überhaupt stellt.

Viele Menschen mit Eseln in der Wüste.

In Déou in Burkina Faso Foto: Katrin Gänsler

Dabei gilt gerade im Sahel: Vor-Ort-Berichterstattung ist wichtiger denn je. In Pressemitteilungen schreiben die Militärjuntas gerne, dass es ihnen wieder gelungen sei, „Terroristen zu neutralisieren“. Nie lässt sich verlässlich prüfen, ob es sich tatsächlich um Terroristen handelt und wie viele Zi­vi­lis­t:in­nen sie tatsächlich ermordet haben.

Meine letzte Reise hat mich nach Senegal geführt. Ich hatte wieder einmal Reporterinnenglück und war an jenem Samstag in Dakar, an dem der frühere Präsident Macky Sall verkündete, dass die Präsidentschaftswahl nicht wie geplant am 25. Februar stattfindet. Es folgten zehn Tage mit Straßenprotesten, brennenden Autoreifen und dem massiven Einsatz von Tränengas gegen die De­mons­tran­t:in­nen. In dieser Wucht habe ich das nie zuvor erlebt. Das heißt, auch bei Ländern, die als stabil gelten und im regionalen Vergleich eine lange demokratische Tradition haben, gilt es, genau hinzuschauen.

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All das klingt nach einem Abgesang auf Westafrika. Dauerhaft mitnehmen werde ich allerdings die Erinnerungen an jene Menschen, die meine Arbeit erst ermöglicht haben. So viele haben mich selbstverständlich bei der Logistik unterstützt, mir ihre Autos geliehen, mich in ihren Wohnungen wohnen lassen. Und vor allem haben so viele immer wieder geduldig auf meine unzähligen Fragen geantwortet. Ohne ein solches Netzwerk ist nirgendwo auf der Welt Berichterstattung möglich, aber schon gar nicht in Westafrika.

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