IN MOABIT UND ANDERSWO
: Guggenheim privat

Den langen Marsch nach Moabit war’s wert

Metropole ist anders. Das behauptet das Blatt, das ich fast jeden Morgen in meiner gemütlichen Südfriedrichshainer Kiezbar ab fünf nach zehn lese: Erstens seien Berliner Mieten zu billig, zweitens trage man hier unurbane Stoffbeutel herum. Ersteres verstehe, wer will, und ansonsten – tja, Werbetaschen für „IL-6 bei rheumatoider Arthritis“ hängen tatsächlich an der Ecke Linden/Charlotte herum. Aber muss man deswegen gleich Krise schieben?

Mein Berlin ist irgendwie anders – voll interessanter Leute. Solche en passant vorgestellt zu bekommen verwundert kaum noch. Nicht mal mehr dann, wenn man selber gar nichts zu melden hat und der Gesprächspartner zufälligerweise eine wichtige internationale Kunststiftung leitet.

Oder die Sache mit der Preview am Wochenende: Persönlich hatte mich das Studio Julie Mehretu zwar nicht zur Uraufführung von „The Matter of Sound“ von Jochen Neurath in den vierten Stock einer ehemaligen Waffenfabrik geladen, aber irgendwer schuldet einem immer einen Gefallen – und die komplexen Layerings städtischer Strukturen, die die Künstlerin im November in zentraler Lage ausstellen wird, waren den langen Marsch nach Moabit wert. Zusammen mit Pingpong und Couscous ein toller Abend, aber angesichts der Vielzahl von Optionen auf Weltniveau keine Überraschung.

Die bekommt nur noch Kollegin Sandrina hin, die eigentlich im eher schillernden Marktsegment der Beach-Clubs, Ku’damm-Pizzerien und Szene-Coiffeure unterwegs ist: Neulich beispielsweise schleppte sie aus heiterem Himmel eine echte Guggenheim an, die eigentlich in St. Gallen lebt und malt. Ich glaube, Frau Guggenheim fand es nett bei uns in der Nachbarschaft, und das späte Frühstück im heimischen Möbeltrödel mit ihr war auch okay.

GUNNAR LÜTZOW