Deutsch-griechischer Schüleraustausch: Aus der Vergangenheit lernen

Ein Projekt an einer Schöneberger Sekundarschule sensibilisiert Neun- und ZehntklässlerInnen für die Geschichte des Holocaust in Griechenland.

Das Bild zeigt die Gedenkstätte oberhalb des griechischen Kalavryta, die an die Opfer des Wehrmacht-Massakers vom 13. Dezember 1943 erinnert

Gedenkstätte oberhalb des griechischen Ortes Kalavryta, die an die Opfer des Wehrmacht-Massakers vom 13. Dezember 1943 erinnert Foto: Andreas Neumeier/Imago

BERLIN taz | Suzanne Lejeune ist 15 Jahre alt. Zusammen mit rund 30 SchülerInnen aus der 9. und 10. Klasse der Georg-von-Giesche-Schule im Bayerischen Viertel in Schöneberg nimmt sie in diesem Jahr an dem Projekt „Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen“ teil. Bei dem von der Integrierten Sekundar- und Europaschule selbst organisierten Projekt geht es nicht nur um den Holocaust in Deutschland – sondern auch um den in Griechenland. Ein Thema, das im Lehrplan faktisch kaum auftaucht. „Ja, es wurde vielleicht mal so nebenbei im Geschichtsunterricht erwähnt, dass da irgendwas in Griechenland war, aber eigentlich nicht so wirklich“, sagt Suzanne.

Von April 1941 bis Ende 1944 besetzte die Wehrmacht große Teile Griechenlands, mindestens 160.000 ZivilistInnen starben. An Hunger, im Holocaust, bei einem der unzähligen Massaker im Land. Im Rahmen des Projekts nahmen Suzanne und die anderen im Januar an einem Austausch mit einer griechisch-deutschen Klasse aus Athen teil. Eine Woche lang erkundeten sie gemeinsam die tatsächlich nur wenigen Museen und Gedenkstätten, die es in Griechenland zur Besatzung gibt.

Denn auch in Griechenland werden die Taten der Nazis weder in der Öffentlichkeit noch im Unterricht sonderlich gut aufgearbeitet. „Ich finde es erstaunlich, dass der Zweite Weltkrieg in der Schule in Griechenland nur am Rande erwähnt wird, hier nimmt es ja fast ein ganzes Jahr ein. Dort ist das nur ein kleines Thema was die machen, so etwas wie zum Beispiel Ritterzeit“, berichtet Suzannes 15-jähriger Mitschüler Pedro Specker. „Das macht man dort vielleicht nur ein, zwei Monate, und das war’s.“

Einer der besuchten Orte: die Kleinstadt Kalavryta, in der am 13. Dezember 1943 Soldaten der deutsch-österreichischen 117. Jägerdivision der Wehrmacht über 1.000 ZivilistInnnen erschossen, viele im Alter von Suzanne und Pedro. Die Kinder und Frauen wurden in der lokalen Schule eingesperrt, die heute ein Museum ist. „Als wir durch Kalavryta spazierten, im ersten Moment hatte ich irgendwie das Gefühl, durch eine Geisterstadt zu laufen. Man spürte, dass es vor Jahrzehnten ein riesiges Blutbad gab“, beschreibt Oscar Panisset-Barachant eindrucksvoll die Stimmung in der 2.000-Einwohner-Gemeinde.

Auch ein Projekt gegen den Rechtsruck an Schulen

Oscar sagt: „Das ist auch krass, das ist wirklich nicht so lange her. Die Menschen könnten noch leben.“ Auf Fotos im Museum von Kalavryta sind die Opfer abgebildet. „Wenn man nur Zahlen hört, dann denkt man: Okay, es ist viel. Aber man kann es sich nicht richtig vorstellen.“

Neben den Erfahrungen bei den Gedenkstätten nahmen die Berliner SchülerInnen auch andere Erlebnisse mit, nicht zuletzt Mentalitätsunterschiede. So sangen die griechischen SchülerInnen am Gedenkort. „Dort ist es normaler, einfach auf der Straße laut zu singen. Wenn das hier jemand machen würde, würde er dumm angeguckt werden“, sagt Pedro. „Die sind fröhlicher, haben Lebensfreude, essen viel. Und reden sehr, sehr laut“, findet Suzanne.

Interessant sei das Projekt insbesondere im Kontext des immer stärkeren Rechtsrucks an Schulen, vor dem auch der Landesschülerausschuss warnt. Suzanne ist sich sicher: „Je mehr man weiß, desto weniger kann man diskriminieren.“

In dieser Woche war die Klasse aus Athen zu einem Gegenbesuch in Berlin. Auf dem Programm standen auch für sie die wichtigsten Gedenkstätten zur NS-Zeit, ein Besuch des Anne-Frank-Zentrums, des KZ Sachsenhausen und ein Rundgang durch die in der Nähe der Schule im Bayerischen Viertel sich befindenden Erinnerungsorte.

Sollte man Projekte dieser Art zur Pflicht machen? Pedro sagt, das „wäre nicht unbedingt vorteilhaft“. Als Pflichtprogramm könnte es dazu führen, dass SchülerInnen das Thema nicht mehr ernst nehmen. Klar sei aber auch: Sollte das Projekt erneut stattfinden, wären er und seine MitschülerInnnen auf jeden Fall wieder mit dabei.

Johan Grimsehl ist Schülerpraktikant in der Berlin-Redaktion.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.