Osteuropa-Workshop und Georgien: „Nein zu Russland. Ja zu Europa!“

Georgien strebt schon lange nach Europa. Ein „Agentengesetz“ nach russischem Vorbild stellt diese Perspektive jetzt erneut infrage.

Eine Protestierende mit georgischen und europäischen Flaggen.

Nicht nur auf Demonstrationen: In Tbilissi hängen Europaflaggen an Regierungsgebäuden und Cafés Foto: imago

TBILISSI taz | „Ja zu Europa. Nein zu Russland!“ So lautet der Slogan einer neuen Welle von Protesten in der georgischen Hauptstadt Tbilissi gegen das „Agentengesetz“, auch „Russland-Gesetz“ genannt, das jahrhundertealte Bestrebungen der Georgier, als Europäer anerkannt zu werden, in Frage stellt.

„Wenn wir uns selbst gehören, werden wir nicht im Stich gelassen. Es lebe das freie Georgien und seine Union mit Europa!“ Diese Worte in einer Rede von Noe Schordania, des ersten Premierministers der Georgischen Demokratischen Republik im Jahr 1920, spiegeln den Wunsch der jungen Republik am Rande Europas wider, Verbündete im Westen zu suchen. Aber leider kam es anders. Die georgische Demokratie wurde 1921 vom sowjetischen Imperium geschluckt.

Ein Jahrhundert später blicken die Georgier immer noch in Richtung Westen. Für viele ist Europa ihre Heimat, von der das Schicksal sie jahrhundertelang getrennt hat. Abgesehen von historischen Überlegungen ging Georgien nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion davon aus, dass Fortschritt, Unabhängigkeit und Souveränität nur durch eine Vereinigung mit dem Westen erreicht werden könnten.

In Tbilissi hängen Europaflaggen an Regierungsgebäuden und Cafés. Sie drücken den Wunsch von 80 Prozent der Georgier aus, der EU und der Nato beizutreten. Graffitis mit der Aufschrift „Ehre der Ukraine“ und „Russen, geht nach Hause“, weisen auf eine proukrainische Stimmung in einem Land hin, das selbst ein Opfer Russlands wurde.

Im April 2024 hat die taz Panter Stiftung erneut zahlreiche Jour­na­lis­t:in­nen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu einem Workshop nach Berlin eingeladen. Dabei entstandene Texte sind auf Sonderseiten der taz und auf taz.de am 26. April 2024 erschienen. Tigran Petrosyan, Leiter der Osteuropa-Projekte der taz Panter Stiftung, erklärt in einem Editorial die Idee hinter dem Workshop. Nika Musavi, Sona Martirosyan und Tatevik Khachatryan schreiben über den vergessenen Konflikt im Südkaukasus.Anastasia Simonova schreibt über die Hoffnung vieler Ukrai­ne­r:in­nen auf den EU-Beitritt. Irina Tabaranu schreibt über Moldaus schwierige Beziehungen zur EU. Tornike Mandaria schreibt über Georgiens langes Streben nach Europa.Alle Texte auch aus vorhergehenden Workshops finden Sie hier.

Ziel des Kremls

2008 wurde Georgien zum ersten Ziel des Kremls. Damals vermied der Westen es, Russland als Aggressor zu bezeichnen. Ja, Moskau hatte einen souveränen Nachbarstaat überfallen, aber dieser ist nicht groß oder wichtig genug, ziemlich weit von Europa entfernt, und der damalige Präsident, Micheil Saakaschwili, scheute nicht vor Provokationen zurück.

Im Zuge der brutalen Großinvasion Moskaus in die Ukraine, die die Sicherheit Europas unmittelbar bedroht, begann der Westen umzudenken. Die Tür, die Ländern, die sich um eine EU-Mitgliedschaft bewerben, lange verschlossen war, öffnete sich.

Trotz scharfer Kritik wegen demokratischer Rückschritte beschloss Brüssel im Dezember 2023, Georgien den Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren.

Noch ist es zu früh, um zu beurteilen, wie sich der Kandidatenstatus auf Georgien auswirkt, aber da das Land einem Beitritt näher rückt, hat Brüssel Zuschüsse in Höhe von 1,9 Milliarden Euro für die digitale, Energie- und Verkehrsinfrastruktur zugesagt. Als Kandidat wird Georgien aufgrund seiner vermeintlichen politischen Stabilität und Berechenbarkeit für internationale Unternehmen attraktiver.

Prozess einfrieren

Einige schlagen nun jedoch vor, den EU-Beitrittsprozess „einzufrieren“. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine geht die georgische Regierung zunehmend auf Konfrontation gegenüber dem Westen und vertieft die Beziehungen zu Moskau und Peking. Bereits zum zweiten Mal versucht die Regierung, ein Gesetz über „ausländische Agenten“ zu verabschieden.

Dieses Gesetz verpflichtet Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, dazu, sich als „Organisation, die die Interessen einer ausländischen Macht vertritt“, zu registrieren. In Russland hat dieses Gesetz die unabhängigen Medien und die Zivilgesellschaft praktisch zerstört.

Im vergangenen Jahr wurde die Regierung durch Massenproteste, die junge Menschen anführten, dazu gezwungen, das Gesetz fallen zu lassen. Heute geht die Generation Z wieder auf die Straße und wiederholt hartnäckig: „Ja zu Europa. Nein zu Russland!“

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