Wir sind keine Bulli-Schweine

Foto: Michael Szönyi/ddp

Ich hatte einen Traum, fast wäre er wahr geworden, aber ich habe einen Moment zu lang gezögert, und dann war er futsch. Lange dachte ich: großer, großer Fehler, doch inzwischen weiß ich: Nein, es war gut so.

Wir hätten einen wunderbaren roten VW-Campingbus von einer Freundin übernehmen können. Wie ich sie kenne, zu einem echten Freundschaftspreis. Fast neu sah der Bulli aus, bestens ausgestattet, mit Küche und Markise und ferngesteuerter Heizung und super Soundanlage. Einfach losfahren können, bis an die Steilküste irgendeines fernen Meeres, das Dach ausklappen, die Betten richten, noch einen Drink aus der Kühlbox nehmen, auf gemütlichen Matratzen tief schlafen, durch das Dachfenster fließt das milde Licht des südlichen Mondes, träumen, morgens mit Blick aufs Meer aufwachen, mit dem Faltrad mal eben Brötchen aus der Boulangerie im nahen Dorf holen, Kaffee aufbrühen – es ist ja wirklich alles da in so einem Bulli –, und dann runter zum Strand, der verschwiegene Weg dorthin ist gleich nebenan.

Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, den Bulli zu kaufen, weil ich so urlauben wollte wie die happy families in den VW-California-Prospekten, die immer – wirklich immer – an Steilküsten, am Ufer von Bergseen, an Klippen mit Blick auf glitzernde Metropolen – Los Angeles? – stehen und verträumt in die Welt hinausblicken, einen selbst geangelten Fisch grillen, chillig auf Sonnenstühlen sitzen, die so praktisch in der Heckklappe versteckt sind.

Die Freundin fragte, was wir zahlen wollten. Ich fragte, was sie haben wolle. Sie sagte, sie wisse sehr genau, was der Bus wert sei, aber darum gehe es nicht. Ich traute mich nicht, zögerte, sagte, ich würde es mir nochmal kurz überlegen wollen.

Als ich die Freundin ein paar Tage später anrief, um nochmal zu reden, hatte sie den Bus gerade beim Händler in Zahlung gegeben gegen einen praktischen Kleinwagen mit Ladefläche. Ich rief dort an, fragte nach dem roten VW California – allein der Name, in diesem Moment klang er so verheißungsvoll –, „der rote, ach, der ist längst verkauft. Das geht bei den Californias ruckizucki“, sagte der Händler im Brandenburger Autoverkäufersound.

Mist, dachte ich, großer Fehler. In folgenden Urlauben träumte ich von dem roten California, trauerte, jedoch immer ein bisschen weniger. Die Betten darin sollen gar nicht so bequem sein. Wenn man kocht, muss man knien, der Raum ist zu niedrig. Campen an Steilküsten ist meist gar nicht erlaubt, das gaukeln die Werbebilder nur vor.

Die vermeintliche Freiheit des Bulli-Reisens schränkt ein: Hat man einen, muss man quasi mit ihm Urlaub machen, damit sich die Anschaffung auch lohnt. All unsere Urlaube in Herbergen und Hotels, Pariser, Utrechter, Münsteraner Airbnb-Wohnungen: Wir hätten sie nicht erlebt, sondern hätten uns frühzeitig auf Campingplätzen anmelden müssen. Frühzeitig, weil die wegen des Camper-Booms jetzt alle so voll sind. Seit 2017 hat sich die Zahl der in Deutschland zugelassenen Camper verdoppelt. Erste Bulliisten ziehen zurück ins Hotel, weil es ihnen auf den Campingplätzen zu eng geworden ist. Man hört den Nachbarn abends Mücken totschlagen.

In den Osterferien neulich wollten wir einen Bulli leihen und nach Bayern reisen. Als wir erfuhren, dass alle Campingplätze noch zu hatten, waren wir erleichtert und haben ein Hotel gebucht.

Freunde verkaufen ihren Bus gerade. Ich will ihn nicht.

Felix Zimmermann