Israel bereitet in Rafah Bodenoffensive vor

Mit Flugblättern und SMS fordert das israelische Militär die Bewohner im Osten der überfüllten Stadt zur Evakuierung auf. Hilfsorganisationen kritisieren die Pläne

Vom Regen in die Traufe: ein palästinensisches Kind in Rafah am 6. Mai, das für eine Bodenoffensive geräumt werden soll Foto: Abed Rahim Khatib/dpa

Aus Jerusalem Lisa Schneider

Die Kamera hält auf einen Strudel von Flugblättern, die vor einem wolkenverhangenen Himmel zu Boden segeln, und schwenkt dann über eine Häuserfront weiter nach unten auf eine Straße. Immer mehr Kinder kommen ins Bild, sie rufen und scheinen in Richtung des Orts zu laufen, wo die Blätter den Boden erreichen werden. Es ist eines von vielen Videos in den sozialen Medien, die wohl die Vorbereitungen für die israelische Bodenoffensive auf Rafah im Süden des Gazastreifens zeigen. Auf den Flugblättern werden die Bewohner des Ostens der Stadt aufgefordert, sich Richtung Norden zu begeben, in sogenannte humanitäre Zonen um das Dorf Al-Mawasi. Auch mit SMS und Medienansprachen auf Arabisch wurden die Menschen nach Angabe des israelischen Militärs zur Evakuierung aufgerufen.

In Rafah – eigentlich eine Stadt mit ca. 150.000 Einwohnern – haben seit Beginn des Krieges über eine Million Menschen Schutz gesucht, die aus dem restlichen Gazastreifen auf Aufforderung des israelischen Militärs nach Rafah geflohen waren. Was mit den Zivilistinnen und Zivilisten dort im Falle einer Offensive geschehen soll, war seit der ersten Ankündigung des israelischen Militärs vor Monaten ein Punkt großen Bedenkens – für westliche Regierungen, wie auch für Hilfsorganisationen. Allein die Masse an Menschen erschwert eine Evakuierung. Und auch wenn die Menschen wieder flüchten, bleibt die Frage: Wohin? Große Teile der Infrastruktur und Gebäude des Gazastreifens sind zerstört, die Vereinten Nationen sprechen von 60 Prozent.

Al-Mawasi, wohin die Menschen nun evakuiert werden sollen, ist der Aufnahme Hunderttausender Menschen noch weniger gewachsen als die Stadt Rafah. Auch das Hilfswerk Norwegian Refugee Council, das in den palästinensischen Autonomiegbieten aktiv ist, erklärte in einer Stellungnahme: „Das Gebiet ist bereits überfüllt und es fehlt an lebenswichtigen Infrastrukturen. Die Kapazitäten reichen nicht aus, um die Zahl der Menschen aufzunehmen, die derzeit in Rafah Zuflucht suchen.“ Außerdem gebe es keine Garantie, dass die Menschen dort sicher seien. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte die israelischen Pläne für Rafah. „Das Schlimmste“ sei zu befürchten, erklärte er auf X.

Dass die israelische Regierung von einer Bodenoffensive in Rafah nicht ablassen würde, hatte sie mehrfach betont. Nach Angaben des Pressebüros der Regierung halten sich die vier noch verbliebenen Kampfbattalione der Hamas allesamt in Rafah auf. Ohne eine Eroberung der Stadt könne die Terrororganisation daher nicht besiegt werden. Schon in den vergangenen Tagen hatte Israel Soldaten an die Grenze zu Gaza verlegt.

Dass es in der Stadt tatsächlich Kämpfer der Hamas gibt, hatten diese am Sonntagabend selbst bewiesen, als sie aus Rafah Raketen auf Soldaten nahe des Grenzübergangs Kerem Schalom zwischen Israel und Gaza abschossen, vier Menschen wurden getötet. Das israelische Militär bombardierte anschließend nach eigenen Angaben die Abschussstelle, dabei wurden nach palästinensischen Angaben mehrere Zivilistinnen und Zivilisten getötet, darunter auch Frauen und Kinder.

Die Hamas feuerte erst am Sonntag aus Rafah Raketen auf israelische Soldaten ab

Auch Ägypten scheint damit zu rechnen, dass die Offensive nun tatsächlich beginnt. Nach dem Aufruf des israelischen Militärs zur Evakuierung Ostrafahs hat das Land die Bereitschaft seines Militärs im nördlichen Sinai, der an Gaza grenzt, erhöht. Ägypten hatte mehrfach betont, dass es keine Evakuierung von Menschen aus Gaza auf sein Staatsgebiet zulassen werde.

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