Peter Unfried
Die eine Frage
: Meine Kinder im Krieg?

Foto: Marco Limberg/X-Press

An einem lauschigen Abend in dieser Woche saß ich auf einem Bürgersteig in Berlin bei exzellenter Verköstigung und ließ mir von einem aus­gewiesenen Weltpolitiker erklären, was eher früher als später auf uns zukommt, wenn wir nicht sofort anfangen, uns fundamental neu aufzustellen. Das war plötzlich ganz und gar nicht lauschig.

Wissen Sie: Ich bin ein kritischer Boomer und kulturell ganz und gar geprägt von der schwierigen Geschichte der Bundesrepublik. Hab viel geschimpft, erst über Schmidt und seine Pershings, dann volle Pulle über Kohl (worüber genau, weiß ich jetzt gar nicht mehr), dann selbstverständlich besonders über Rot-Grün und so weiter. Alles schlimm. Dachte ich. Falsch gedacht.

Insgesamt lief es schon ziemlich sehr gut nach 1945, im größeren Zusammenhang gesehen eine einmalige Glücksgeschichte. Ihre Grundlagen habe ich allerdings lange ignoriert, also kostenloser amerikanischer Schutzschild, militärisch, demokratisch und kulturell, billige russische Energie, ideale Weltmarkt­situa­tion, Auslagerung von Verantwortung und schmutzigen Händen an die Amis, Auslagerung von Kosten an Atmosphäre und an andere Leute weit weg.

Rational habe ich sehr wohl verstanden, dass ich die Gnade der frühen Geburt habe, dass es so nicht mehr läuft wie bisher, und langsam verstehe ich auch, dass es niemals so werden wird, wie ich mir das in meiner Heile-Welt-Utopie vorgestellt habe: nie mehr Kriege, nie mehr Waffen. Ich sehe die Notwendigkeit bundesdeutschen Abschreckungspotenzials, ich bin bereit über europäische Atombomben zu reden und über eine Bundeswehr, die Deutschland gegen einen Angriffskrieg länger als 15 Minuten verteidigen kann. Ich halte es ganz und gar nicht für Militarismus oder Kriegsgeilheit, wenn man in der Lage ist, andere vom Morden und Vergewaltigen abzuhalten, weil sie wissen, dass man sich wehren kann.

Aber eines ist für mich der furchtbarste Gedanke, und das sagte ich dem Weltpolitiker auch: „Ich verstehe das alles, aber es ist für mich unvorstellbar, dass meine Kinder in einen Krieg ziehen müssen.“

Peter Unfried ist Chef­reporter der taz.

Er sah mich mit seinem Joschka-Fischer-Blick an. Dann sagte er, fast wie nebenbei: „Das werden Ihre Kinder entscheiden.“ Das war der Moment, in dem ich etwas Entscheidendes kapierte. Bis dahin hatte ich gedacht, dass meine Kinder in meiner Welt leben. Durch Fischers fünf Worte habe ich verstanden, dass ich längst in der Welt meiner Kinder lebe.

Das ist die Welt, die der ehemalige Bundes­außenminister an dem Abend skizzierte – oder wie ich ihn verstanden habe. Eine Welt am Ende der Pax Americana, der von den USA überwachten globalen Ordnung, in der das, was wir gerade noch aus relativer Distanz erleben, nicht eine zwischenzeitliche Erschütterung unserer gewohnten Normalität ist. Sondern erst der Anfang eines globalen Chaos, in dessen Entwicklung sich Westen und Osten neu sortieren, die Amerikaner mit den Chinesen die Welt und die Weltmärkte neu aufteilen – und Europa die Arschkarte hat. Wenn Europa, wenn wir nicht aktiv Dinge anders machen.

Wir können die Zukunft nicht einfach ablehnen

Meine Versuchsthese lautet: Wenn die Welt bereits eine Illusion ist, in der wir Boomer noch zu leben glauben, dann können wir sie weder verbessern noch verteidigen. Weil wir aber kulturell, emotional und auch intellektuell Teil dieser Welt sind (und ihrer schönen Illusionen), ist es verdammt schwierig, loszulassen. Es fühlt sich falsch an. Hilft aber nichts: Wir können die Zukunft nicht einfach ablehnen, wir werden erst handlungsfähig, wenn wir in die rea­le Welt unserer Kinder wechseln. Je schneller wir einen konstruktiven Umgang mit der ungewohnten Härte dort finden, desto größer ist ihre Chance, lange und einigermaßen glücklich zu leben.