Gespräch mit US-Künstler Henry Taylor: Wie eine Art Jazz

Der Berliner Schinkel Pavillon stellt den US-Künstler Henry Taylor erstmals in Deutschland aus. Kurz vor Ende der Ausstellung haben wir mit ihm gesprochen.

Blick in die Ausstellung

Blick in die Ausstellung. Im Vordergrund: Henry Taylor, „Another country, Ben Vereen“, 2023 Foto: Schinkel Pavillon

taz: Herr Taylor, die mit Ihnen befreundete Malerin Jill Mulleady hat für den Schinkel Pavillon unter dem Titel „You Me“ eine gemeinsame Ausstellung kuratiert, in der sie sich mit der Objektivierung weiblicher und Schwarzer Körper in der Kunstgeschichte auseinandersetzt. Von Ihnen ist eine malerische Reaktion auf Marcel Duchamps „Nu descendent un escalier No. 2“, die als Lithografie Teil der Ausstellung ist, und Gerhard Richters „Ema (Akt auf einer Treppe)“ zu sehen. Wie kam es zu Ihrer Arbeit?

Henry Taylor: Ich habe bei meiner Version an Richter gedacht, der sich auf Duchamp bezogen hat. Bei Duchamp ist es wie eine Operation, das Auseinandernehmen eines Körpers. Es fasziniert mich, aber in so einem Bild kann ich mich nicht bewegen.

Im letzten Jahr haben Sie einige Monate in Paris gelebt und gearbeitet, für die Ausstellung „From Sugar To Shit“. Damit hat die Zweigstelle Ihrer Galerie Hauser & Wirth eröffnet. Wie kam es zu diesem Titel?

Das war etwas, was meine Mutter immer sagte: „Er ging vom Zucker in die Scheiße.“ Etwa als mein Bruder das College abgebrochen hat. Erinnerungen sind ein großer Teil meiner Arbeit. Mein Vater sagte immer „Meet Me“, „lerne mich kennen“. Das wurde der Titel meiner Abschlussausstellung bei CalArts (California Institute of the Arts). Eine Woche später ist er gestorben.

geb. 1958 in Oxnard, ­Kalifornien, wuchs als jüngstes von acht Kindern auf und lebt heute in Los Angeles.

Er studierte am California Institute for the Arts (CalArts), nebenbei arbeitete er zehn Jahre lang als Pfleger im Camarillo State Mental Hospital. Taylor ist bekannt für seine Porträts Schwarzer Musik-, Schauspiel- und Sport-Ikonen, aber auch Personen am Rande der Gesellschaft sowie für seine autobiografischen Assem­blagen und Installationen.

Zuletzt erhielt er eine Retrospektive im Whitney Museum of American Art in New York.

Eine Auswahl dieser Paris-Bilder ist jetzt in Berlin zu sehen. Darunter eines, das Sie selbst neben dem aufgebahrten Körper Ihres Vaters zeigt. Ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. Sie haben es „Me Me“ genannt.

Zuerst dachte ich, es ist nur eine Skizze, aber je weiter ich es mir anschaute, wurde mir klar, dass ich es nicht weiter ausbauen muss. Ich habe meinen Vater nur dreimal gemalt. Das erste Mal wie jemanden, den man von hinten die Straße entlanggehen sieht. Man sieht das Gesicht nicht, aber so, wie er sich bewegt, weiß man, wer es ist. Ich sehe mich in ihm.

Sie haben ihn mit schwarzen Engelsflügeln gemalt. Aber anders als bei Ihrem Bild „Michelle“, einer übergroßen Michelle Obama als Göttin Isis, sind sie hier nicht ausgebreitet.

Es ist wie zu versuchen, einige erlösende Eigenschaften in den Menschen zu finden. Man kann vielleicht nicht die ganze Zeit ein Engel sein. Ich habe viel über dieses Bild nachgedacht oder wann ein Bild fertig ist. Ich weiß nicht, ob es jemals richtig sein kann.

Sie arbeiten auch mit Assemblagen; aus Fundstücken wie Wischmops oder leeren Bleicheflaschen zusammengesetzten Skulpturen, die teilweise wie Porträts wirken. Etwa von Ihrer Mutter, die als Reinigungskraft arbeitete, um die Familie mit acht Kindern zu unterstützen. Aber auch als Verweis auf die Art von Jobs, die oft von Schwarzen in den USA ausgeübt werden.

Henry Taylor/Jill Mulleady „You Me“: Schinkel Pavillon, bis 19. Mai

Manchmal klingen bestimmte Dinge in der Erinnerung stärker nach. Wissen Sie, als ich in meine Pariser Wohnung kam, waren da etwa 30 Leinwände. Ich dachte, wow, was ist denn hier los? Das war wie ein ganzer Haufen Baumwolle, über den man nachdenken musste. Ich dachte, ich werde in Stücke gehen, wie meine Mutter, als sie in Akkordarbeit putzen ging. Das ist wie eine Art Bewusstseinsstrom, eine Art Jazz.

Ebenfalls in Paris entstanden ist die Arbeit „got, get, gone, but don t you think you should give it back?“. Sie zeigt eine nackt als Brunnenfigur vor dem Louvre und dem British Museum knieende Josephine Baker. Im Hintergrund ist ein Sklavenschiff zu sehen. Wie ist dieses Bild entstanden?

Ich denke die ganze Zeit über verschiedene Künstler nach und auch über mich selbst. Das war das zweite Mal, dass ich Josephine Baker gemalt habe. Es hätte nicht sie sein müssen, aber manchmal haben wir keine Wahl. Sie ist einfach aufgetaucht, vielleicht weil bei einem Rundgang noch einmal erwähnt wurde, dass sie in Frankreich ein großer Star war, aber auch Aktivistin in der Widerstandsbewegung und als erste Schwarze Frau ein Grab im Pantheon bekam.

Die Museen zeigen voller Stolz die Objekte, die zu Kolonialzeiten aus ihren Herkunftsländern gestohlen wurden. In meinem Kopf setzt sich dann aus diesen Eindrücken und Gedanken ein Bild zusammen. Vielleicht erinnere ich mich auch daran, als ich in der Nervenheilanstalt gearbeitet habe und an die Wahnvorstellungen der Leute, und auch das wird ein Teil der Arbeit, die ich mache. Ich denke gerade an so viele Dinge, an Momente mit meiner Mutter, manchmal klammere ich mich einfach daran.

Ein weiteres Paris-Bild ist „Forest fever is nothing like, „Jungle Fever““, dass sich auf Édouard Manets „Le déjeuner sur l’herbe“ bezieht. Bei Ihnen sind es drei junge Schwarze Männer mit HipHop-Attributen, wie Goldketten, die sich in einem Park entspannen, im Hintergrund wartet eine große schwarze Limousine. Sehen Sie Ihre Arbeiten auch als eine Form der Reinterpretation des westlichen Kunstkanons?

Das war es definitiv die ganze Zeit. Aber manchmal ist es auch nur eine Art Spiel. Offensichtlich brauchen wir eine Repräsentation, aber dann geht es mir auch um die Liebe zur Malerei. Bei diesem Bild begann es mit einer kleinen Skizze, als ich über Manet nachdachte und darüber, im Park zu sitzen. Ein Park ist eine große Sache, denn in den USA haben Schwarze oft keinen Zugang mehr oder werden von der Polizei schikaniert.

Ich habe gute Erinnerungen an die Parks, in denen ich in Oxnard aufgewachsen bin. Wir haben Basketball und Fußball gespielt und wir haben Musik gemacht. Jetzt bekommt ein Park eine ganz andere Bedeutung. Ich plane meine Bilder nicht vorher, sie entstehen als Ideen und dann sehe ich, was passiert. Das ist wie mit Musik. Du hörst etwas, erinnerst dich und trägst es mit dir herum. Vielleicht entsteht daraus eine Note und die Note wird zum Lied.

Ihre Ausstellung im Whitney Museum haben Sie „Henry Taylor: B-Side“ genannt, die Seite einer Single, die üblicherweise als weniger wichtig gesehen wird. Wie kamen Sie auf diesen Titel?

Die B-Seiten sind die, die übersehen werden. Oft sind die A-Seiten etwas kommerzieller oder zugänglicher und dann gibt es die Dinge, die aufrichtiger und vielleicht auch radikaler sind. Es geht auch um diejenigen, die in der Gesellschaft übersehen werden, die Menschen von der Straße. Ich meine, wir sollten einfach gewissenhaft mit verschiedenen Dingen umgehen, aber es auch spielerisch halten.

Wie begegnen Sie Ihren Bildern in einer Ausstellung wie dieser?

Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich am liebsten versuchen würde, nachträglich etwas zu reparieren. Als Thelonious Monk eine Platte aufnahm, sagte vielleicht der Bassist: „Oh, Mann, ich wusste nicht, dass du das aufnehmen würdest. Es wird bleiben.“ Das ist wie die „Essenz der Existenz“, wie mein Vater sagte. Gleichzeitig ist es ein großer Schmerz. Ich kann nicht zurückgehen und alles kor­rigieren.

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