Wie eine Predigt mit erhobenem Zeigefinger

Evangelikalismus wird nicht nur immer populärer, sondern agiert auch in der Streamingwelt. Familienserien wie „The Baxters“ sind dabei gefährlicher, als sie auf den ersten Blick erscheinen

Klare Rollenverteilung: Frauen sind feinfühlig, Männer vernünftig Foto: Joshua Applegate/Amazon Studios

Von Marie-Sofia Trautmann

Fürs Serienschauen haben die meisten von uns Gründe, die sich zwischen Unterhaltung und thematischem Interesse bewegen. In völlig anderen Begründungssphären bewegen sich Serien des modernen Evangelikalismus: Der Plot bietet hier eine didaktische Belehrung der Zuschauerschaft, eine Erinnerung an das Gute und Böse, unzählige Beispiele für gelingende wie für scheiternde Biografien – Erstere mit, Letztere ohne Gott. Jede Episode eine Predigt mit erhobenem Zeigefinger: Wenn das, dann das. Besonders nachdrücklich gelingt diese religiöse Erziehung mithilfe von Figuren, die wir über Staffeln hinweg begleiten. Die Familienserie „The Baxters“, mit drei Staffeln seit März auf Amazon Prime zu sehen, und die Kinderserie „The Wingfeather Saga“ sind Beispiele für solche zu telegen-edukativen Geschichten verpackten Predigten des Evangelikalismus.

Die Buchgrundlage für „The Baxters“ stammt von Karen Kingsbury, die mit der 23-teiligen Reihe einen millionenfach verkauften New York Times-Bestseller rund um das Ehepaar Baxter und ihre fünf erwachsenen Kinder erschuf. Wirkweise der Bücher soll laut Kingsbury die Bereitstellung religiösen Lehrmaterials für die Leser sein. Eine Vorstellung von religiöser Didaktik, die im evangelikalen Glaubensverständnis kaum überrascht, das immer noch die Bekehrung von Ungläubigen als oberste Priorität versteht. Gott lege die Geschichten in ihr Herz, um sie weiterzuerzählen, so Kingsbury. Christliche Autorenschaft als Sprachrohr Gottes also. Was sie dabei zu sagen hat, ist nur vordergründig eine Geschichte voll Familienidylle.

Die Familie Baxter ist oberflächlich wenig mehr als ein holzschnittartiger Traum des Republikanismus mit Vorstadtvilla, heißer Schokolade, SUVs, Familiendinner und Football. Fluchtpunkt der Folgen ist stets die Kirchengemeinde und der gemeinsame Kirchgang. Jede Episode beginnt mit einem Bibelzitat, schon der Vorspann zeigt im Gebet verschränkte Hände. Die Dialoge sind katastrophal, der Plot kaum als solcher zu bezeichnen. Was der christliche Klassiker „Eine himmlische Familie“ bei aller moralischen Überlegenheit noch hin und wieder an Humor und Originalität im Storytelling vorzuweisen hatte, fehlt bei „The Baxters“ völlig. Das Zuschauererlebnis bewegt sich zwischen einem Finger auf dem Aus-Knopf der Fernbedienung und der Überzeugung, das alles müsse ein parodistischer Spaß sein (ist es natürlich leider nicht). Einer solchen Produktion wäre keiner Erwähnung wert, wären die hinter der persuasiven Bildsprache vermittelten Werte nicht höchst fragwürdig.

Während die männlichen Figuren als Ärzte und Universitätsprofessoren arbeiten, sieht man Frauen bei „The Baxters“ fast ausschließlich im häuslich-mütterlichen Raum agieren. In langhaariger, blumenblusiger Sanftheit gründen sie einen Gemeindekindergarten und schneiden Obst („I’m just passionate about my family“, lautet die Antwort einer der Frauen auf die Frage nach ihrem Beruf. Aha.) Frauen sind hier vor allem feinfühlig, intuitiv, mütterlich. Diese Eigenschaften werden von den Herren der Schöpfung stets gelobt, regelmäßig muss eine zu intensive weibliche Emotionalität allerdings von der Vernunft der Ehemänner gestoppt werden. Männer sind nicht nur Familien-, sondern auch Glaubens­oberhäupter, nur sie sprechen das Tischgebet, nur sie haben das letzte Wort bei Uneinigkeiten – sanft, aber indiskutabel. Eine für den konservativen Evangelikalismus zentrale Überzeugung der völlig verschiedenen Wesensnatur des Männlichen und Weiblichen tritt hier zutage, wie Thorsten Dietz, Theologieprofessor in Marburg mit Forschungsschwerpunkt Evangelikalismus, erläutert. „Hier sieht man Frauen und Männer als gleichwertig, aber nicht gleichartig. Der Mann gilt als vernünftig und führungsstark, die Frau als emotional und hilfsbereit.“ Da Männer und Frauen füreinander zur Ergänzung bestimmt seien, werden gelebte Homosexualität und Transidentitäten als Aufruhr gegen Gottes Ordnung abgelehnt.

Bedrohungen von außen gibt es bei „The Baxters“ einige: die universitäre Naturwissenschaft, über die der jüngste Sohn auf Abwege gerät, Schwarze Figuren im Gegensatz zur weißen Idylle und immer wieder auch gottlose Frauen aus Scheidungsfamilien. Der Schwarze Schwiegersohn wird von einer Schwarzen Studentin verführt, die den intellektuellen, sinnlichen und damit sündigen Gegenentwurf zur weißen, züchtig angezogenen Weiblichkeit der Baxters darstellt. Da Scheidung nicht infrage kommt, muss besagter Schwarzer Schwiegersohn durch einen Schusswechsel sterben, damit die weiße Tochter endlich den weißen NFL-Footballer heiraten kann.

Auf vorehelichen Sex folgt der Tod des Vaters der gefallenen Entjungferten durch einen Amoklauf in der Kirchengemeinde, dem er nicht zum Opfer gefallen wäre, wenn sein Töchterchen ihr Keuschheitsgelübde eingehalten hätte. Der Schwangerschaftsabbruch einer feministischen Umweltschützerin mit Nasenpiercing verläuft lebensgefährlich, Journalisten sind ein weiteres Feindbild der Gottlosigkeit und entweder untreue Alkoholiker oder psychotische Amokläufer. Einem Vietnam-Veteranen dankt man dafür, Amerika befreit zu haben, während Figuren, die das Feindbild der progressiven Linken inklusive sexueller Befreiung und Frauenrechten repräsentieren, das Familienleben gefährden. Man hasst sie nicht, sondern betet für sie. Frauenfeindliche und rassistische Figurenkonstellationen durchziehen die Handlung, außerhalb des Familien­esstisches wird es gefährlich für Glaube und Moral. Typisch, so Dietz.

„Das Ziel in diesem antiliberalen Evangelikalismus ist eine sehr harmonische, liebevolle Geborgenheit für alle innerhalb der Gemeinschaft. Die kennt allerdings sehr klare Grenzen. Der Mann führt die Frau, die Frau führt die Kinder. Kindern bringt man bei, dass alle, die nicht gehorchen, im Leben scheitern werden und etwa in Drogensucht abrutschen. Die Welt draußen wird als gottlos und lebensgefährlich wahrgenommen, der absolute Fokus liegt auf dem Familien- und Gemeindeleben. Wer sich anpasst, erfährt viel Zuwendung. Aber wehe denen, die nicht in diese Wertelogik hineinpassen.

Jede Episode beginnt mit einem Bibelzitat, schon der Vorspann zeigt im Gebet verschränkte Hände

„Mit ähnlich didaktischem Hammer geht die Kinderserie „The Wingfeather Saga“ vor, basierend auf den Büchern des christlichen Autors Andrew Peterson. Die Serie ist kostenlos abrufbar auf Angel Studios, einer christlichen Plattform, die auch die christliche Erfolgsserie „The Chosen“ produzierte, und wurde durch Spenden von Christen weltweit finanziert. Erbsünde, immer noch eine zentrale Überzeugung im Evangelikalismus, gibt es in dieser Serie schon für die Kleinsten. Gegen das Böse in sich selbst müssen auch Kinder hier schon ankämpfen und ihre inneren teuflischen Triebe besiegen – nicht unüblich für die häufig noch vormoderne Pädagogik evangelikaler Strömungen, die auf Züchtigung und Disziplinierung setzt. Die Stammeslogik der eigenen Familie, die Verteidigung der eigenen Blutlinie gegen eine bedrohliche Außenwelt sind zentrale Motive der animierten Serie.

Christliche Momfluencerinnen weltweit preisen die Serie als eine, die ihre Kinder zu gottgefälligen Menschen erziehe. „Wir sehen hier eine Zuwendung zum Neotribalismus“, so Dietz, „einen Rückzug in den sicheren familiären Raum und die eigene Glaubensgemeinschaft.“ Dieses Bedürfnis sei weltweit zu beobachten, gleichzeitig aber eine „Absage an eine moderne, offene Gesellschaft, die Freiheit des Einzelnen ermöglicht und Vielfalt feiern kann. Vor diesem Draußen wird Angst geschürt. Diese Angst spürt man nicht, solange man drinnen bleibt. Die anderen sind hier nicht nur anders, sondern auch gefährlich. Man soll sie bekehren – oder meiden.“

Assoziiert mit Angel Studios ist die Plattform Vid Angel, die allzu Weltliches wie Sex und Schimpfwörter aus herkömmlichen Serien und Filmen herausschneidet, falls das Bedürfnis nach „Grey’s Anatomy“ oder den „Simpsons“ doch zu groß wird. Ins Keusche zensierte „Simpsons“ sind wohl kaum zu ertragen – besser als die „Baxters“ sicherlich jedoch allemal.