Wahlen in Ostdeutschland: Was auf dem Spiel steht

Die taz berichtet ab sofort verstärkt über die Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Ein Wahlplakat der AfD hängt an einem Laternenmast in der Nacht - die Lampe leuchtet

Auf dem ostdeutschen Land fallen besonders viele AfD-Wahlplakate auf Foto: Emmanuele Contini/imago

Wer dieser Tage mit dem Fahrrad durch Brandenburg fährt, sieht viele Wahlplakate – vor allem von der AfD. Die anderen, die der Demokrat*innen, droht das Großstadtgehirn rauszufiltern. Den jungen, findigen Gastwirt, der aus Verantwortungsgefühl für seine Kommune antritt. Den Kandidaten mit kreativ freigestellter Plakatform, der von Linken, SPD und CDU unterstützt wird.

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Der Eindruck einer übermächtigen AfD passt zum Bild von Ostdeutschland, das sich bei vielen festgesetzt hat: alles schlimm im Osten. Und das stimmt ja auch, zum Teil. Vieles ist schlimm. Aber was folgt daraus? Der Osten wird nicht weggehen, er wird immer seine eigene Geschichte haben. In vielen ostdeutschen Wohnungen steht bis heute die Schrankwand „Karat“, Jugendliche sprechen noch immer von Plaste statt Plastik und im Supermarkt finden Knusperflocken einen guten Absatz.

40 Jahre DDR haben den Osten aber nicht nur in Sprache und Produkten geprägt, sondern auch kulturell und politisch. Der Soziologe Steffen Mau beschreibt Ostdeutschland als frakturierte Gesellschaft. Frakturen sind eigentlich Knochenbrüche. Oft sind sie unter der Haut versteckt, von außen kaum erkennbar. Die meisten heilen aus, nur manchmal bleiben Fehlstellungen. Die gesellschaftlichen Brüche, die Mau meint, heilen schwerer als die körperlichen. Vielleicht heilen sie sogar nie ganz – und führen dazu, dass ein Arm, eine Schulter oder eben eine Gesellschaft weniger belastbar ist.

Die aktuellen Belastungen sind schwerwiegend, in ganz Deutschland. Nach der Corona-Krise kam der Ukraine-Krieg, Lebensmittelpreise haben sich verdoppelt, Arbeitende fühlen sich erschöpft. In Ostdeutschland kommen 40 Jahre Diktatur, Massenarbeitslosigkeit, Abwanderung, Transformationserfahrungen noch oben drauf.

Diese Erfahrungen der Alten werden nicht einfach mit ihnen aussterben. Eine junge ostdeutsche Generation trägt all das Vergangene in sich und übersetzt es zum Teil in rechtes Gedankengut und Gewalt. Das wird sichtbar, wenn Jugendliche einen SPD-Wahlkämpfer krankenhausreif prügeln oder in der letzten Jugendstudie angeben, die AfD wählen zu wollen.

Drei ganztägige Veranstaltungen in den Bundesländern

2019 rappte der Chemnitzer Sänger Felix Kummer: „Rostbraune Flecken an den Wänden unter Deck / Und wenn man das jahrzehntelang so lässt / Dann geht das später nicht mehr von alleine weg / Irgendwann wird ein Loch zu einem Leck.“ Das Leck ist längst da. Aber Leute wie Felix Kummer zeigen auch: „Wir sind mehr“ – und haben damit recht. Wer den Osten für verloren erklärt, liegt falsch.

Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, am 22. September in Brandenburg. Zuvor finden Kommunalwahlen statt, in Thüringen am 26. Mai, in den anderen ostdeutschen Ländern am 9. Juni. Als wir im vergangenen Herbst in der taz anfingen, uns über unser Programm für die Wahlen Gedanken zu machen, begegnete uns oft die Erzählung vom verlorenen Osten.

Dieses Vorurteil stachelte uns an, noch größer zu denken, noch mehr zu planen, die Scheinwerfer volle Pulle aufzudrehen. Denn Ostdeutschland ist voll von aktiven, demokratischen Menschen, die auch schon lange vor den Correctiv-Recherchen zu rechten Plänen der massenhaften Ausweisung auf die Straße gingen. Die wahnsinnig smarte und erfolgreiche Musik machen, Bücher schreiben, fast Oscars gewinnen, Politik gestalten.

Für unser Projekt zu den Ostwahlen 2024 – wie wir sie großzügig abkürzen – fanden wir viele Mitstreiter*innen. Medien wie das Freie Wort in Thüringen und das Veto Magazin in Dresden, mit denen wir kooperieren oder die Uni Leipzig, deren drei Überlandschrei­berinnen im Sommer auch die taz bespielen. Und auch drei Kol­le­g*in­nen bei uns im Haus, die für einen Monat nach Ilmenau, Senftenberg und Zittau ziehen werden, um von dort zu berichten.

Zusammen mit der taz Panter Stiftung werden wir drei ganztägige Veranstaltungen in den Bundesländern organisieren, finanziert von der Stiftung. Das Programm für unser erstes Forum am 23. Juni im Zughafen in Erfurt konnten wir innerhalb einer Woche übervoll packen. Die Vorschläge für Gäste überschlugen sich, dann sagten auch noch fast alle zu.

Die taz Panter Stiftung verleiht auf den drei Foren außerdem jeweils den taz Panter Preis für zivilgesellschaftliches Engagement und publiziert vor den Landtagswahlen im September drei Sonderbeilagen mit jungen Au­to­r*in­nen und Il­lus­tra­tor*n­nen aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Ob all dies nun den Ausgang der Wahlen ändert? Wer sich ernsthaft für den Osten interessiert, muss langfristig zu denken lernen.

Keiner weiß, wie die AfD aufzuhalten wäre

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

So wie die 90er Jahre bis heute ihre Spuren hinterlassen haben, wird die Zeit jetzt ihre Spuren hinterlassen. Es gibt immer nur jetzt. Es ist etwa naheliegend, dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer vorzuhalten, dass Sachsen noch nie immun gegen Rechtsradikalismus war und die seit 1990 regierende CDU auch nichts dafür getan hat, dass diese Aussage wahr werden würde.

Allerdings regiert in Thüringen seit 2014 die Linkspartei und auch dort kommt die AfD in Umfragen auf etwa 30 Prozent. In Brandenburg, seit 1990 von der SPD regiert, sehen die Werte etwas schlechter für die AfD aus, aber auch nicht bedeutend. In Wahrheit weiß kein Mensch, wie die AfD genau aufzuhalten wäre.

Auch dieser Text und alle fort folgenden in der taz werden diese Frage nicht eindeutig beantworten können. Diese Auseinandersetzung wird bleiben und Kraft kosten – Demokratie ist Arbeit. Deshalb müssen die Straßen voll sein mit Wahlplakaten von Demokrat*innen. Es braucht weiter Proteste. Wir müssen weiter sehr präzise zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn Rechtsextreme Macht bekommen und wir aufhören, diejenigen zu unterstützen, die sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen.

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