Wird die Krise klein-geredet?
JA

Kreditklemme, Jobverlust, Pleiten – trotz allem erwartet man für den Herbst schon wieder den Konjunkturfrühling

Vera Lengsfeld, 57, CDU, kandidiert für den Bundestag in Berlin-Kreuzberg

Die Botschaft ist so schön wie diese heißen Spätsommertage: Wir sollen die Talsohle der Rezession durchschritten haben und uns auf dem Weg nach oben befinden. Wir müssten nur alle fest daran glauben. Wirklich? Ich halte mich lieber an die Tatsachen. Ob die „Rettungsschirme“ für marode Banken und Pleiteunternehmen etwas anderes bewirkt haben, als den Offenbarungseid hinauszuzögern, muss sich noch erweisen. Die Schulden sind in astronomische Höhen gestiegen. Am Zahltag, wenn die Bad-Bank-Verbindlichkeiten fällig werden, wird der Steuerzahler zur Kasse gebeten. Alle diese „Rettungsmaßnahmen“ haben die Ursache der Krise nicht beseitigt, sondern Pleite-Banker vor den Folgen ihrer Fehler bewahrt. So werden weitere Krisen vorprogrammiert.

Werner Abelshauser, 64, ist Wirtschaftshistoriker und Professor an der Uni Bielefeld

Nichts spricht für Entwarnung. Gewiss, Konjunkturprogramme haben den Abschwung gebremst, Kurzarbeit die Arbeitslosigkeit aufgeschoben. Es wäre auch ein Wunder, wenn Kreislaufspritzen in Billionenhöhe völlig wirkungslos blieben. Auch Strohfeuer wärmen. Es ist unklar, ob die Liquiditätsfalle überwunden ist und die Investoren privates Geld in die Hand nehmen. Warum sollten sie? Weltmärkte sind noch immer unsicher, die Bankenkrise nicht entschärft, der Kulturkampf um die Regeln auf den internationalen Finanz- und Gütermärkten nicht entschieden. Dort aber liegt des Pudels Kern. Auch nach 1929 hat es immer wieder trügerische Aufschwungsphasen gegeben. Also Vorsicht. Wer die Krise kleinredet, ist entweder Ignorant oder Wahlkämpfer. Oder beides.

Peer Steinbrück, 62, SPD, ist Bundesfinanzminister der schwarz-roten Koalition

Viele meinen, man könne die Krise wie einen Betriebsunfall behandeln, nach dem die verantwortungslose Zockerei, die uns in die Krise geführt hat, weitergehen kann. Das ist falsch. Richtig ist, dass wir in Deutschland durch eine beherzte antizyklische Konjunkturpolitik die Wirtschaft stabilisieren konnten. Bisher geht unsere finanzpolitische Strategie auf. Ein Erfolg, der mit einer Rekordneuverschuldung teuer erkauft werden musste. Die Frage lautet jetzt: Ziehen wir die notwendigen Konsequenzen? Sorgen wir mit neuen Verkehrsregeln auf den Finanzmärkten für nachhaltiges Wachstum und in der nächsten Legislaturperiode für eine Rückkehr auf den Konsolidierungspfad? Oder versuchen wir möglichst schnell die Rückkehr in die Normalität? Hoffentlich nicht!

Oskar Lafontaine, 65, Vorsitzender der Linken, war bis 1998 SPD-Finanzminister

Die Auswirkungen der Krise auf Einkommen und Beschäftigung beginnen gerade erst sichtbar zu werden. Schlimmer noch als die Krise kleinzureden ist es, wenn die Verantwortlichen zu wenig unternehmen, um ihr zu begegnen und eine noch größere Krise zu vermeiden. Die Regierung Merkel hat weder rechtzeitig noch in ausreichendem Maß mit öffentlichen Ausgaben versucht, das Minus bei der Wirtschaftsleistung zu verhindern, und damit tausende Arbeitsplätze vernichtet. Nach wie vor lädt die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne Heuschrecken zu Profitmaximierung und Lohndumping ein. Bis heute dürfen Banken Geschäfte mit Steueroasen tätigen, und die niedrigen Leitzinsen der Zentralbank werden nicht an Verbraucher und Unternehmen weitergegeben.

Nein

Klaus F. Zimmermann, 57, ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin

Die deutsche Wirtschaft hat den freien Fall beendet und erreicht gemeinsam mit Frankreich bereits frühzeitig die positive Wachstumszone. Mit dieser starken Entwicklung in den beiden größten Volkswirtschaften Europas sind die Chancen gestiegen, dass die große Wirtschaftskrise schon bald überwunden ist. Natürlich wird es einige Jahre dauern, bis die Einbrüche ausgeglichen sind. Auch werden konjunkturell zurückgestaute, strukturelle Anpassungen noch zu Entlassungen und Betriebsschließungen führen. Der Arbeitsmarkt bleibt aber ruhig. Der Konsum, auch getragen von niedrigen Energiepreisen, ist stabil. Die Erholung Deutschlands, Japans und Chinas verwirft alles Gerede vom Ende des Exportmodells. Der Welthandel belebt sich, die Industrieaufträge steigen, und schon bald wird es wieder zu vermehrten Investitionen kommen, was den gebeutelten Exportfirmen hilft.Pamela Knapp, 51, Managerin im Sabbatical, war zuletzt Bereichsvorstand bei Siemens

Die Krise wird nicht kleingeredet, sie ist in der deutschen Wirtschaft ein ständiges Thema. Die Bedrohungen sind handfest: drastische Rückgänge bei Auftragseingängen und Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung. Einige haben die Krise aber auch als Ausrede benutzt. Mich stört, dass die Krise manchmal als Entschuldigung für die Bereinigung von Managementfehlern dienen musste. Dass die Wachstumsraten der Jahre 2006 und 2007 nicht von Dauer sein können, wurde in vielen Branchen übersehen. Es gab auch kaum risikobewusste Finanzgeber oder Aufsichtsgremien, die dem ungebremsten Kapazitätsaufbau Grenzen gesetzt hätten. Die Krise ist eine Korrektur dieser Übertreibungen. Wichtig ist, daraus zu lernen und künftig Geschäftsmodelle kritischer zu hinterfragen und auf mehr „Nachhaltigkeit“ zu achten.

Volker Treier, 40, Chefvolkswirt der Deutschen Industrie und Handelskammer

Nach Monaten schlechter Nachrichten sind wir am Beginn einer Trendwende – nicht mehr und auch nicht weniger. Niemand geht davon aus, dass es bei der Erholung keine Rückschläge geben wird. Diese drohen vor allem durch die Finanzierungslage vieler Unternehmen, die sich sogar noch zuspitzen könnte. Umsatzeinbrüche schlagen sich zeitverzögert in den Bilanzen nieder und erschweren selbst bei verbesserter Auftragslage die Kreditkonditionen. Die Banken sollten bei ihrer Entscheidung stärker die verbesserten Perspektiven berücksichtigen. Im Herbst wird die dann schwierigere Situation am Arbeitsmarkt auf den Konsum niederschlagen. Die Anstrengungen der Unternehmen – unterstützt durch die verbesserten Kurzarbeiterregelungen – bewahren uns aber vor erheblicheren Beschäftigungseinschnitten. Die Konjunktur hat noch eine holprige Wegstrecke vor sich, immerhin stimmt die Richtung.

Peter Keul, 60, Immobilienverwalter aus Hilden, hat seinen Kommentar auf taz.de gestellt

Die Krise ist resistent gegen Panik, Politiker-Aktionismus und „Experten“-Meinungen. Die Gelassenheit der Bevölkerung scheint eine Art kollektive Intelligenz zu sein: Es lohnt sich nicht, sich über etwas aufzuregen, was nicht zu beeinflussen ist. Dies zeigt auch die Tatsache, wie wenig politischen Nutzen die Radikalen aus der Krise generieren können. Die Krise ist ein notwendiger Bestandteil des Kapitalismus. Panik und Lamento werden sie jedenfalls nicht bewältigen.