Treue unter Angezählten

Trotz „Non“ beim Referendum glaubt die deutsche Politik weiter an eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich

BERLIN taz/dpa ■ Abgesänge will Gerhard Schröder zurzeit nicht hören. Weder auf seine Regierung in Deutschland noch auf die Europäische Verfassung. Ein trotziges „Es geht weiter“ war deshalb auch die Reaktion des Kanzlers auf das sonntägliche Non der Franzosen: „Der Ausgang des Referendums ist ein Rückschlag für den Verfassungsprozess, aber nicht sein Ende. Er ist auch nicht das Ende der deutsch-französischen Partnerschaft in und für Europa“, erklärte der Kanzler gestern.

Doch auch führende Sozialdemokraten wissen: Seit Deutschland und Frankreich erstmals nach den Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 in einer zentralen europapolitischen Frage unterschiedlich votiert haben, kann man von einem gemeinsamen Motor für Europa kaum mehr sprechen. „Man kann noch nicht abschätzen, wohin das führt“, sagte Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament.

Das Nein aus Frankreich sei allerdings „nicht wichtiger als ein Ja aus Deutschland, Spanien oder Belgien“, findet Schulz. Deshalb ist er dafür, den Entwurf möglichst bald erneut zur Abstimmung vorzulegen. „Wenn sich die Lage in Frankreich beruhigt, kann man das versuchen“, sagte der SPD-Politiker der taz. Das Nein habe vor allem Präsident Jacques Chirac gegolten.

Schulz’ Analyse des französischen Abstimmungsergebnisses teilen in Deutschland jedoch nicht alle. Außenminister Joschka Fischer machte gestern die „neoliberale, marktradikale Wirtschafts- und Sozialpolitik“ für die Ablehnung der Franzosen verantwortlich. Änderungen am Verfassungstext lehnte er aber erneut ab.

Das konservative Lager führt das französische Nein hingegen auf die geplante Südosterweiterung der EU zurück. Peter Hintze, Europapolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, will aus Frankreich ein Signal zum „Umdenken in der Türkeifrage“ vernommen haben. Auch Fraktionsvize Wolfgang Schäuble sieht den Grund für die Ablehnung der Franzosen in der „zu maßlosen Erweiterung“ der EU.

Die CDU spekuliert bereits jetzt darauf, dass Deutschland und Frankreich unter einer Kanzlerin Angela Merkel und einem französischen Regierungschef Nicolas Sarkozy europapolitisch wieder zusammenfinden – der Chef der Regierungspartei UMP steht wie Merkel für einen erweiterungsskeptischen Kurs.

Bis dahin erwarten Experten Stillstand. Schröder und Chirac seien „diskreditiert“ und hätten nicht mehr viel anzubieten, konstatiert der französische Politologe Alfred Grosser. Und auch Rudolf von Thadden, Vorstandsvorsitzender des Instituts für deutsch-französische Zusammenarbeit am Schloss Genshagen und früherer Koordinator der deutsch-französischen Beziehungen, glaubt: „Es wird drei, vier Jahre dauern, bis Deutschland und Frankreich wieder Tritt fassen.“

Das Ende der engen deutsch-französischen Zusammenarbeit sieht von Thadden jedoch nicht nahen. „Wir verlieren Zeit, aber Europa ist mehr als die Verfassung“, sagt er. Und der deutsch-französische Motor sei noch lange nicht kaputt: „Ich habe selber ein altes Auto, das stottert schon ewig. Aber das Ding fährt immer noch.“ KLAUS JANSEN