Mit dem Castor rollt der Rubel

Trotz langjähriger Proteste akzeptieren Lokalpolitik und Bevölkerungsmehrheit die Castortransporte. Für die strukturschwachen Atomstandorte Ahaus und Gronau bringt das nukleare Geschäft Geld

VON MARTIN TEIGELER

Der Castor kommt – und mit ihm das große Geld. Gestern startete der erste Atommülltransport aus dem Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden ins Zwischenlager Ahaus an der niederländischen Grenze. Doch von der Stadtspitze der 38.000-Einwohner-Kommune im Münsterland war keine Stellungnahme zu bekommen. „Der Bürgermeister hat Termine“, sagte ein Stadtsprecher auf taz-Anfrage. Kein böses Wort also von Rathauschef Felix Büter (CDU) über den nahenden Atommüll. Schließlich hat die Kleinstadt vom Atomgeschäft finanziell profitiert. „Es ist kein Geheimnis, dass wir Zahlungen bekommen“, heißt es aus der Verwaltung.

Das Projekt Brennelemente-Zwischenlager (BZA) wurde von der in Ahaus traditionell regierenden CDU in den 1970er Jahren aktiv unterstützt – gegen Bares. Die ortsansässige Textilindustrie stand damals vor dem Aus. Da kam die Idee, Atomindustrie im strukturschwachen Münsterland anzusiedeln, gerade recht. Ahaus bewarb sich erst als Standort für eine Brennelementefabrik, dann für eine Urananreicherungsanlage, die aber im Nachbarort Gronau errichtet wurde. Am Schluss blieb der verärgerten Gemeinde das Zwischenlager. „‘Gronau der Speck, Ahaus der Dreck‘, hieß es damals“, sagte Stadtdirektor Robert Jünemann (CDU) einmal.

Ende der 1970er Jahre flossen zunächst 49 Millionen Mark Landesgelder ins Stadtsäckel. Die beiden ersten atomrechtlichen Genehmigungen des Lagers stammen von 1987 und 1992. Sie umfassten die 40-jährige Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente aus Reaktoren. Alle 19 Atomkraftwerke aus den alten Bundesländern reservierten sich Ahauser Stellplätze. In den 1990er Jahren eiste Jünemann noch einmal 160 Millionen Mark bei den BZA-Betreibern los. Das Geld sollte der Kommune beim wirtschaftlichen Aufschwung helfen. Ahaus entwickelte sich tatsächlich, gewann neue Einwohner und Steuerzahler hinzu.

Doch im Sommer 1996 stellte sich selbst Christdemokrat Jünemann kurzzeitig quer. Dass die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) auch unbenutzte Brennelemente für den schnellen Brüter von Hanau nach Ahaus schaffen lassen wollte, ging plötzlich allen politischen Fraktionen in Ahaus gegen den Strich. „Die meisten Bürger stehen zwar hinter dem BZA und zweifeln nicht an seiner Sicherheit, doch die Gefahr, dass die ganze Republik auf uns gehetzt wird, ist groß“, warnte Jünemann damals. Ahaus wolle nicht zum „Treffpunkt der deutschen Chaoten“ werden. Und so protestierten beim letzten Castortransport im März 1998 nicht nur Atomkraftgegner aus der ganzen Republik, sondern insgesamt 10.000 Bürger gegen den Atommüll – unter ihnen auch eingefleischte CDU-Anhänger.

Anno 2005 hat sich die christdemokratische Stadtspitze längst wieder mit dem BZA arrangiert. Beobachter schätzen die jährlichen BZA-Zahlungen an die Kommune auf rund eine Million Euro – hinzu kommt die Gewerbesteuer. 20 Kilometer nördlich in Gronau profitiert die wirtschaftlich schwache Stadt ebenfalls vom Atomgeschäft. Neben CDU-Bürgermeister Karl-Heinz Holtwisch freute sich Anfang 2005 auch die SPD über den genehmigten Ausbau der Urananreicherungsanlage. Damit würden nicht nur die bestehenden 256 Arbeitsplätze gesichert, so SPD-Energiepolitiker Werner Bischoff. Für die Stadt Gronau seien bis zu 15 Millionen Euro an Gewerbesteuer gesichert worden.

Die konservative Bevölkerungsmehrheit scheint hinter der Atompolitik im Münsterland zu stehen: Bei den letzten Landtags- und Kommunalwahlen kam die CDU in Ahaus und Gronau auf 50 bis 60 Prozent.

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