Die Stimme des Heizlüfters

Mit seinen Videoperformances „Möbiusband“ und „Sphären“ debütiert Stefan Hauberg jetzt auf Kampnagel

Der schmächtige Mann mit dem langen Zopf dreht sich. Langsam bewegt er die Arme dazu, in verschiedene Richtungen, in allen Gelenken. Wie Taiji sähen die bedächtigen Drehungen von Stefan Hauberg aus, wäre da nicht die Dachlatte in seinen Händen. Fünf Meter misst sie, am Ende ist eine Videokamera befestigt. Während Hauberg gemächlich rotiert, fährt sie Achterbahn, wirbelt im Kreis, stürzt kopfüber in die Tiefe, um dann in die Höhe zu schnellen.

In seinen beiden Videoperformances Möbiusband und Sphären am Donnerstag auf Kampnagel macht der Student an der Hochschule für bildende Künste physikalische Gesetze sichtbar: Eine langsame Bewegung im Mittelpunkt eines Systems erfordert ungleich höhere Geschwindigkeiten der ums Zentrum kreisenden Körper. Siehe unser Sonnensystem, siehe ein Pferd an der Longe, siehe Hauberg und seine Kamera.

Die Zuschauer betrachten in der ersten Performance zuerst die Bewegungschoreographie, im Anschluss daran zeigt der junge Mann den währenddessen entstandenen Videofilm. Da huschen die Wände der turnsaalgroßen Kampnagel-Vorhalle über die Leinwand, Farben verwischen, sogar der Ton dreht sich im Raum. Denn die Stereomikrofone an der Kamera nehmen auf ihrer Dachlattenfahrt das Geräusch des Heizlüfters auf. So wechselt der Abstand zur Tonquelle ebenso gleitend wie der Aufnahmewinkel.

„Die Töne doppeln sich zum Teil, das klingt bizarr“, verspricht Stefan Hauser. Seine Choreographie hat mathematisches System. Er dreht sich samt Dachlatte in der horizontalen, vertikalen und sagittalen Körperachse, und das in drei Ebenen: die Arme lang nach unten gestreckt, auf Schulterhöhe und nach oben gereckt. „Dabei entstehen 17 Bewegungsformen. Ich beschreite einen Kreis und lande in einer Verdrehung, nach einem weiteren Kreis ende ich wieder in der Ausgangsposition.“ Hauberg beschreitet also ein fiktives Möbiusband. Zur Erinnerung: ein Geschenkband einmal in der Mitte verdreht und dann die Enden zusammengelegt ergibt einen Kreis, in dem Innen und Außen ineinander übergleiten – das Möbiusband

Die Ballerina Stefanie Zononzi hat Hauberg bei der Umsetzung seiner mathematischen Vektoren in Bewegungen geholfen. Er selbst habe vorher „mit Bewegung nichts gemacht“, sagt er, dafür aber vor seinem Kunststudium ein Semester lang Mathematik studiert. In der zweiten Performance des Abends, Sphären, liegt die Kamera an der Hand des Bewegers. Er steht diesmal, hebt und dreht den Kameraarm gemäß seinen Möglichkeiten, wiegt den Oberkörper mal leicht nach links, mal nach rechts. 140 unterschiedliche Richtungen sind so möglich. Die hat Hauberg akribisch aufgezeichnet, als er sein Projekt bei Kampnagel eingereicht hat. „Statt Text“, grinst er, und es hat geklappt: Hauberg hat ein Stipendium für diese Arbeit erhalten. Katrin Jäger

Uraufführung: 2.6., 20 Uhr, Kampnagel. Weiterer Termin: 3.6., 20 Uhr