Auf der Spur der Urtinktur

DAS MAKING OF Fast jeder dritte Deutsche schluckt homöopathische Arzneimittel. Hunderttausende Mittel sind auf dem Markt. Doch wie werden die Globuli, Tropfen und Pastillen hergestellt? Und wer bürgt für die Qualität?

Fast 400 Millionen Euro wurden 2010 für Globuli, Tropfen und Pastillen ausgegeben

VON CHRISTOPH RASCH

Auch Naturheilmittel werden im Sekundentakt abgefüllt: Blitzschnell senkt sich der Metallrüssel in die kleinen braunen Fläschchen, füllt sie mit weißen Kügelchen, den sogenannten Globuli: winzigen, in verdünnter Pflanzentinktur getränkten Rohrzuckerbällchen. Unaufhörlich schieben sich Hunderte „Belladonna“-Fläschchen über das Förderband – hier in der Abfüllanlage der Deutschen Homöopathie-Union (DHU).

Der Markt für die homöopathischen Mittel wird immer größer – und unübersichtlicher. Über die Ladentische deutscher Apotheken wanderten 2010 Globuli, Tropfen und Pastillen im Wert von fast 400 Millionen Euro: 8 Prozent am Gesamtumsatz mit rezeptfreien Medikamenten. Allein der Marktführer DHU verfügt über ein riesiges Sortiment von 420.000 lieferbaren homöopathischen Mitteln. „Bisher gab es keine Fälle, bei denen uns eine Registrierung oder Zulassung der Mittel von den Behörden verwehrt wurde“, so DHU-Sprecher Wolfgang Kern.

Das liegt auch an der akribischen Qualitätssicherung: Schon während der Produktion werden die verarbeiteten Stoffe, Zwischenschritte und Endprodukte genau geprüft. So wird zum Beispiel darauf geachtet, dass die sogenannte Urtinktur – also das flüssiges Ausgangskonzentrat, meist aus pflanzlichen Säften – keine Verunreinigungen durch Schwermetalle oder Pestizide aufweist. Bis zur Endfreigabe durchläuft der vieltausendfach verdünnte Basisstoff dann bis zu 300 weitere Einzelprüfungen – mehr als bei einem chemisch-synthetischen Arzneimittel, weiß der Bundesverband der Arzneimittelhersteller.

Homöopathika können auf zwei Genehmigungswegen auf den deutschen Markt gelangen: per „Zulassung“ oder über eine „Registrierung“. Registrierte Mittel benötigen anders als die „zugelassenen“ keinen Nachweis über ihre Wirksamkeit – auf ihren Verpackungen muss deshalb der Hinweis „ohne genehmigte Heilanzeigen“ aufgedruckt sein.

Für die strengere „Zulassung“ hingegen sind laut Arzneimittelgesetz „die Erfahrungen einer homöopathischen Therapierichtung zu berücksichtigen“. Das kann heißen, dass die Arznei im Vorfeld an Probanden getestet wird. Allerdings: „Zum Nachweis der Wirksamkeit ist eine klinische Studie nur eine Möglichkeit“, heißt es vom zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Also auch Einzelfallanalysen werden akzeptiert – oder ältere Erfahrungswerte bei bekannten Grundstoffen.

„Insgesamt werden die gesetzlichen Regelungen den Anforderungen an Sicherheit und Qualität bei Homöopathika gerecht“, sagt Barbara Steinhoff, zuständig für den Bereich Homöopathie beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller, „über zusätzliche Sicherheitsprüfungen kann man aber natürlich immer diskutieren.“

Denn bisher ist es so: In den Vorfeldprüfungen mit Probanden wird bei Homöopathika im Unterschied zu konventionellen Arzneien meist nicht die Wirksamkeit gegen eine bestimmte Krankheit getestet, sondern allgemein auftretende Symptome, Sinneseindrücke und Stimmungen nach der Einnahme. Auch auf Placebo-Kontrollgruppen wird verzichtet. Kritiker stellen deshalb den Sinn dieser Arzneimittelprüfungen infrage. Auch der Zentralverein homoöpathischer Ärzte bedauert, dass die Industrie keine groß angelegten Studien über die Wirksamkeit der Mittel durchführt.

Bei der zuständigen Kontrollbehörde sieht man dies allerdings nicht als Problem: Der Verdünnungsgrad der homöopathischen Arzneien sei meist zu gering, damit Wirkstoffe ein potenzielles Risiko für den Verbraucher darstellen könnten. „Außerdem“, sagt Maik Pommer vom Bundesinstitut für Arzneimittel in Bonn, „behalten wir auch homöopathische Arzneimittel nach der erfolgten Zulassung weiter im Blick, solange diese auf dem Markt sind – und werden aktiv, falls Meldungen über bislang unbekannte Risiken auftreten.“ Bis hin zum nachträglichen Entzug der Zulassung, was allerdings äußerst selten sei.

Zuletzt geriet das Erkältungspräparat Umckaloabo ins Visier der Prüfer – hier hatten sich Verdachtsmeldungen über Leberschäden bei der Einnahme gehäuft. „In solchen Fällen suchen wir zusammen mit den Herstellern gemeinsam nach den Ursachen“, sagt BfArM-Sprecher Pommer. In einem „Stufenplanverfahren“ wird zunächst die betroffene Herstellerfirma angehört und diese dann aufgefordert, gegen auftretende Risiken selbst vorzugehen – etwa durch neue Zusammensetzungen oder Konzentrationen. „Bevor wir gezwungen sind, eine Arznei vom Markt zu nehmen, haben die Firmen meist schon reagiert“, so Pommer, „für die steht ja ihr Image auf dem Spiel.“