Grausamkeit muss sein

VON SONIA MIKICH

Er oder Sie – bei der letzten Bundestagswahl wäre dies eine reizvolle Polarisierung gewesen. Da es 2002 nicht um Programme, sondern viel um Personen und Personality ging, hätte diese Konstellation einiges durcheinander gebracht. Apokalypse Frau! Die Republik hätte angeregt über Geschlecht und Macht räsoniert. Merkel statt Stoiber – und dann gegen den Männermann Schröder, welch eine Frischzellenkur. Nicht nur für den Feminismus.

Inzwischen stehen die Sachthemen im Vordergrund. Wie die Arbeitslosenzahlen senken? Woher Geld nehmen, um in die Zukunft zu investieren? Welche Gesellschaft soll es werden? Ist die Globalisierung heilig und der Neoliberalismus unfehlbar? Da verbietet sich die Frage, ob Angela Merkel eine Frau ist.

Sie ist zur Grausamkeit verdammt, sollte sie Kanzlerin werden. Die Inhalte werden brutalstmöglich Fragen nach Frisur und Mundwinkel wegfegen. Selbstverständlich ist eine Kopfpauschale nicht weiblich, und das Bierdeckelmodell hat keine Eierstöcke, und die Renaissance der Atomenergie ist nicht aus einem hormonellen Schub geboren.

Merkel wird gern mit Margaret Thatcher verglichen, jener Konservativen, die Großbritannien nachhaltig modernisierte – auf Kosten großer Teile der Bevölkerung. Thatcher kam wie Merkel als Außenseiterin an die Spitze ihrer Partei, hielt sich politische Boygroups, verachtete Frauenthemen und -netzwerke und hielt sich für den „einzigen Kerl im Kabinett“. Unvergesslich ihr selbstbewusstes Lächeln, als sie Besuchern in der Downing Street erklärte: „Von diesem Sessel aus ließ ich im Falklandkrieg die ‚Belgrano‘ versenken.“ Mit 800 Toten.

Kann eine Frau genauso rücksichtslos, machtgierig, manipulativ, kalt und prinzipienfern sein wie ein Mann? Ja. Können wir endlich aufhören zu glauben, Frauen machten eine andere, gar bessere Politik? Ja, unbedingt. DIESE Einsicht, und nur sie wird interessant sein an der Geschlechterfrage rund um die Bundestagswahl.