Gott ist Koch

Überzeugend bis auf die Statistin namens Gretchen: David Bösch inszeniert George Taboris böse Farce „Mein Kampf“ im Thalia in der Gaußstraße

von Katrin Jäger

„Tolles Stück, nur die Frau fällt ab“, bemerkt eine Zuschauerin in der Pause der Premiere von George Taboris Farce Mein Kampf im Thalia in der Gaußstraße. Die Frau, das ist die Schauspielerin Anna Blomeier, ihre Rolle: Gretchen.

Die Zuschauerin hat Recht. Das liegt nicht an Anna Blomeiers Können, das hat sie schon oft genug unter Beweis gestellt, zum Beispiel als Racheal in Port von Simon Stephens. Auch das hatte, wie jetzt Taboris Mein Kampf, der junge Regisseur David Bösch inszeniert. Nur lässt Bösch Blomeier diesmal zwar auftreten, aber nicht spielen. Im bunten Girlie-Outfit bewegt sie sich linkisch über die Bühne, versucht mit lächerlich inzestuöser Geste den wesentlich älteren Schlomo Herzl (Werner Wölbern) in die Koje zu zerren.

Gretchens eigentliche Funktion für den Fortgang der Spielhandlung besteht in der Überbringung eines (echten) braunen Huhns, Symbol für alle Opfer von Hitler und seinen Gefolgsleuten. Besser wäre aber es gewesen, dieses Gretchen zu streichen – besser für die Inszenierung und besser für Anna Blomeier, denn die Schwäche der Figur wirkt auf sie als Schauspielerin zurück.

Warum David Bösch dieses Mädchen als Abziehbild inszeniert hat, ist unerklärlich, zumal ihm ansonsten wieder einmal ein dichtes, fesselndes Stück Theater gelungen ist: Der Hitler-Darsteller Tino Mewes war zwar mit schmerzhaft verrenktem Halswirbel in die Premiere gegangen, gedopt mit Schmerzspritze, geknetet vom Profimasseur. Doch nichts war ihm anzumerken. Als blutjunger und untalentierter Studienplatzanwärter an der Wiener Kunsthochschule hechtet er im neurotischen Wahn über die Bühne, rennt hysterisch hinter seinem Mutterersatz – dem Juden Schlomo – her, stampft am Ende verlässlich auf die Kühltasche, den Stall des braunen Huhns, so dass die Federn fliegen. Dazu das rollende Hitler-R, das verschämte Fingernesteln, der psychotische Wechsel zwischen Wutausbrüchen, euphorischem Wortschwall und hilflosem Jammern.

Über diesen Hitler kann gelacht werden, mit kathartischem Effekt. Wie damals, als Charly Chaplin in Der große Diktator den skurrilen Tanz mit der Weltkugel vollführte. „Ich hasse Charly Chaplin“, ruft dann auch der Hitler auf der Thalia-Bühne und straft seine Körpersprache Lügen, die in Gang und Mimik den alten Charly kurz aufleben lässt.

Umso sarkastischer die Momente, in denen dieser junge Mann seine antisemitischen Sprüche klopft und schließlich Schlomo durch den Raum hetzt, über die kargen Schaumstoffmatratzen des Wiener Obdachlosenasyls, in das Patrick Bannwart die Bühne überzeugend verwandelt hat: Trostlose, durch graues Mauerwerk getrennte Kojen sind da zu finden. Ein alter Holzofen auch – das Reich Gottes eben. Oder dessen, der sich für ihn ausgibt, der Koch mit Mütze und weißem Gottesrauschebart. Eine Figur wie aus dem Märchen, Lobkowitz sein Name (Markwart Müller-Elmau). Er und Schlomo eröffnen die Szene mit einem Prolog im Asyl, lamentieren über die Gebote, über den Gang der Dinge. Und dann rutscht dem alten Koch noch ein resigniertes „mein Gott“ raus, das bei aller Tragik lachen macht.

Die in Taboris Text angelegte Vermischung des Mystischen mit dem Profanen transportiert diese Inszenierung wunderbar auf die Bühne. „Die Tod“ (Verena Reichhardt) kommt äußerst sympathisch daher in ihrem tief ausgeschnittenen, schwarzen Abendkleid, anziehend und furchteinflößend, dabei so menschlich überarbeitet. Deshalb holt sie sich ihren Gehilfen. So kriegt Hitler endlich seine Mutti.

Weitere Vorstellungen: 1., 2., 16., 18.6., jeweils 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße