Virtuelle Welten

Die Phoenix Halle in Dortmund wird zum vierten Mal mit Medienkunst bespielt, erstmals unter neuer Leitung

Auf dem grauen, staubigen ehemaligen Hochofen-Gelände in Dortmund irritiert ein durchorganisiertes buntes Kunststoff-Blumenbeet mit scheinbar gepflanztem Militärcode. Sie kommuniziert eine geheime Botschaft „Brauchen Waffen und Munition“ an vorbei fliegende Helikopter und Flugzeuge. Und doch geht es um Realität, auch wenn innen digitalisierte Reflexe von Scheinwelten über die Deckenschiffe der Phoenixhalle flackern. „Es geht um die heutige Wirklichkeit, die ästhetisch bewältigt werden muss“, sagt Jörg Stüdemann, Kulturdezernent der Stadt Dortmund. Ihm geht es um die urbane Zukunft und den dahin führenden Transformationsprozess. „Auch wir fördern digitales Leben“, Klaus Steenweg, Hauptsponsor und Direktor der örtlichen Sparkasse sieht lieber Synergieeffekte beim gewöhnlichen Kunden.

„Verstreute Momente der Konzentration“ ist die vierte Ausstellung im ehemaligen Hochofen-Reserveteillager. Seit Januar leitet die Berliner Kuratorin Inke Arns den Dortmunder hartware medien kunst Verein. Zehn Jahre lang hatten Iris Dressler und Hans D. Christ „mit missionarischem Eifer“, so Stüdemann, das neue kulturelle Alleinstellungsmerkmal der Westfalen-Metropole aufgebaut. Die Beiden leiten heute den Württembergischen Kunstverein in Stuttgart, hatten Inke Arns für die Fortführung ihrer Arbeit vorgeschlagen. „Das passte fast beängstigend nahtlos“, sagt der Kulturdezernent.

In der Ausstellung „Verstreute Momente der Konzentration. Urbane und digitale Räume“ sind zwölf internationale KünstlerInnen mit 18 Arbeiten vertreten. Sie thematisieren damit globale technologische, gesellschaftliche Entwicklungen, die sich so auch im Ruhrgebiet vollziehen, „einem Ort, der wie kein anderer als verstreutes Moment der Konzentration par excellence gelten kann“, so Kuratorin Arns.

So böse bunt draußen die Blumenbeet-Installation (“Code International Sol/Air No. 14“) von Renaud Auguste-Dormeuil auch leuchtet, drinnen widmet er sich dem schnöden Alltag – der ist nicht weniger böse. Seine Videodokumentation der digitalen Überwachung im öffentlichen Raum anhand einer einstündigen Bustour durch Paris. „Paris Mabuse Visit Tour (1999/2000)“ erläutert akribisch die technischen Details unterschiedlicher Kameramodelle und liefert Hintergrundinformationen zu den Betreibern. Denn reale und virtuelle Räume wachsen zusammen, gehen oder fahren wir durch die Stadt, bewegen wir uns gleichzeitig durch digitale Datenräume, die sich wie immaterielle Strukturen über gebaute Räume legen. Eine aktuelle Frage ist schnell zu klären: Welcher Art sind die Datenräume und wer benutzt diese immateriellen Strukturen zu welchem Zweck?

Die Aneignung des öffentlichen Raumes beschreibt der türkische Videokünstler Osman Bozkurt. In „Auto-Park – Highway-Parks in Istanbul“ (2003) dokumentiert er die lebensgefährliche Nutzung von Grünstreifen zwischen den Stadtautobahnen Istanbuls als kollektiven Grill- und Fußballplatz und Ort der Erholung – eine zeitgenössische Form der Theorie der „Kunst des Handelns“. Bettina Lockemann fotografierte ihre schwarzweiße Serie „Fringes of Utopia. Observations on West Coast Urbanism“ 2001/2002 in Los Angeles, Las Vegas und San Diego. Auch wenn die architektonischen Bausteine unscheinbar bleiben, die neuen Städte sind in ihrem Innersten radikal. „Gated Communities“, also gesicherte und abgeschottete Wohngebiete, werden dabei mit ihren sichtbaren Mauern wie auch mit ihren zunehmend immateriellen Kontrollpunkten zu Metaphern zukünftiger urbaner Strukturen. PETER ORTMANN

Bis 17. Juli 2005