Grass-Gedicht sorgt für Empörung

POESIE Literaturnobelpreisträger kritisiert Israels Iranpolitik. Zentralrat der Juden spricht von „aggressivem Pamphlet“. Kritik von CDU und SPD. Lob nur von der Linkspartei

BERLIN dapd/dpa/taz | Ein Gedicht des Schriftstellers Günter Grass zu Israels Atompolitik hat heftige Empörung hervorgerufen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte den Text „ein aggressives Pamphlet der Agitation“. Der Text sei unverantwortlich und eine Verdrehung der Tatsachen. Auch die israelische Botschaft in Berlin wies die Kritik des Literaturnobelpreisträgers zurück: Israel sei der einzige Staat auf der Welt, dessen Existenzrecht öffentlich angezweifelt werde, hieß es in einer Erklärung des Gesandten Emmanuel Nahshon. Sein Land sei „nicht bereit, die Rolle zu übernehmen, die Günter Grass uns bei der Vergangenheitsbewältigung des deutschen Volkes zuweist“.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, warf dem Schriftsteller sein „durchschaubares Schmierentheater“ vor. Das American Jewish Committee zeigte sich „entsetzt über Günter Grass’ neuerlichen Versuch, Israel zu delegitimieren“.

Das Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muss“ wurde in den Mittwochausgaben der Süddeutschen Zeitung, der New York Times und von La Repubblica veröffentlicht. „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, schreibt der 84-jährige Grass darin. Er kritisiert das wachsende nukleare Potenzial Israels, das „außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist“. Außerdem wirft Grass Israel vor, dass es durch einen Erstschlag das iranische Volk auslöschen könnte, nur weil vermutet werde, dass Teheran eine Atombombe baue.

Auch in der Politik stieß das Werk auf scharfe Kritik. „Ich bin über die Tonlage, über die Ausrichtung dieses Gedichtes entsetzt“, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Ruprecht Polenz (CDU), Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sagte: „Günter Grass ist ein großer Schriftsteller. Aber immer wenn er sich zur Politik äußert, hat er Schwierigkeiten und liegt meist daneben. Diesmal liegt er gründlich daneben.“ SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: „Ich schätze Günter Grass sehr, aber das Gedicht empfinde ich vor dem Hintergrund der politischen Lage im Nahen Osten als irritierend und unangemessen.“

Die Bundesregierung reagierte gelassen. „Es gilt in Deutschland die Freiheit der Kunst, und es gilt glücklicherweise auch die Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder künstlerischen Hervorbringung äußern zu müssen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Auch die Grünen verwiesen auf die künstlerische Freiheit. Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, sagte: „Günter Grass hat ein Gedicht verfasst. Er behauptet, es sei Kunst. Und die Kunst ist frei. Über Gedichte sollte sich die Politik nicht streiten.“ Montag betonte jedoch: „Wenn Herr Grass einen politischen Meinungsartikel mit diesen Argumenten geschrieben hätte, wäre dieser verheerend. Denn er hätte Israel und das Mullahregime des Iran auf eine Stufe gestellt. Was unsinnig wäre.“

Nur von der Linkspartei kam Lob für Günter Grass. Der außenpolitische Sprecher der Linkspartei-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke, sagte: „Ich habe lange darauf gewartet, dass ein Intellektueller eine solche Kritik ausspricht.“ Grass habe recht mit seiner Kritik, seine Positionen seien nur vernünftig. Mit Blick auf die Kritiker in der Union sagte Gehrcke weiter: „Es ist verlogen, dass die, die behaupten, Freunde von Israel sein, sich nicht trauen, Kritik an israelischer Politik zu üben.“ US

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