Wider den Fetisch Tempo

In Abwesenheit des Verkehrssenators diskutiert Bürgerschaft über Sicherheit auf Hamburgs Straßen. Opposition wirft Senat vor, sich einseitig um Autofahrer zu sorgen

„Vorfahrt für mehr Sicherheit auf Hamburgs Straßen“ verlangte der GAL-Abgeordnete Jörg Lühmann gestern in der Bürgerschaft. Das Parlament debattierte auf Verlangen der Grünen darüber, dass die Zahl der Verkehrstoten in Hamburg 2004 entgegen dem Bundestrend angestiegen sei: 48 Menschen waren im vergangenen Jahr in der Stadt durch Verkehrsunfälle ums Leben gekommen.

Der GALier forderte eine fundierte Ursachenanalyse und warf dem Senat vor, einseitig auf verbesserten Verkehrsfluss für Autofahrer zu setzen – zum Nachteil von Fußgängern und Radfahrern: „Tempo ist für Sie Fetisch und Dogma der Verkehrspolitik“, wetterte Lühmann.

CDU-Verkehrsexperte Klaus-Peter Hesse warf dem Grünen dagegen Realitätsverlust vor. Die GAL habe das Thema „Verkehrstote in Hamburg“ nur zur Diskussion angemeldet, um es politisch ausschlachten zu können, unterstellte er: „Wo Menschen sich im Verkehr aufhalten, passieren Fehler – und es gibt leider tragische Fehler“, philosophierte Hesse und reckte zum Beweis mehrere aktuelle Zeitungsartikel über Todesfälle im Hamburger Straßenverkehr in die Höhe. Jedoch sei es auf den Straßen noch nie so sicher gewesen wie heute, tönte der CDU-Mann.

Karin Timmermann (SPD) äußerte sich „peinlich berührt“ über den Auftritt Hesses. Die negative Bilanz in der Verkehrsunfallstatistik sei durchaus teilweise hausgemacht: „Es gibt ideologisch motivierte Entscheidungen, die dem Autoverkehr zugute kommen sollen.“ Timmermann verwies unter anderem auf die Anhebung der Geschwindigkeitsgrenzen auf 60 Stundenkilometer auf vielen Straßen und verkürzte Grünphasen für Fußgänger. Während 2001 für Radwege noch 4,4 Millionen Euro zur Verfügung gestanden hätten, seien es 2005 gerade noch 200.000 Euro. Dem Senat fehle in Sachen Verkehrssicherheit jedes Konzept.

Innensenator Udo Nagel (parteilos) bestritt dies selbstredend und rezitierte sein knappes Credo: „Wir handeln.“ Die Behörde habe die Verkehrspolizei deutlich gestärkt und eine „straffe Verkehrsdirektion“ geschaffen, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Das Motto laute: „Null Toleranz für Raser, Drängler und Rotlichtfahrer“, so Nagel. Verkehrssenator Michael Freytag (CDU) übrigens glänzte durch Abwesenheit. MARKUS JOX