Manns-Bilder

Wer das Kino und Stuttgart liebt, kann sich freuen. Der Regisseur Michael Baumann wird die Stadt und ihr Leben auf die Leinwand bringen. Sein Film „Habib Rhapsody“ erzählt aus einem Imbiss auf dem Wilhelmsplatz über Männerträume und Lebenslügen. In diesem Sommer fangen die Dreharbeiten an. Ein Porträt

von Borjana Zamani

In einer verqualmten Kneipe sitzen rauchende, fröhliche Menschen. Am Fenstertisch sitzt Michael Baumann. Zerzauste Haare, glatt rasiert, das ist er aber nicht immer. Schwarzer Pulli, dunkle Jeans, schwarze Lederboots. Er hält eine Selbstgedrehte und ein Bier in der Hand. Jeder Mann mit Weltschmerz hätte diesen Mann gerne als großen Bruder. Groß, rotblond sitzt er vor in dieser Kneipe, seine Augen vermitteln Ruhe. Einer wie er würde jedes Wort des kleinen Bruders wie Küchenpapier aufsaugen und ernst nehmen.

Michael Baumann versteht die Kunst des Zuhörens, und er versteht viel von der Welt. Viele Bücher hat er gelesen und viele Menschen liebevoll beobachtet. Einen Sack Alltagsphilosophie trägt er mit sich, und er ordnet ihn mit Kunst und Witz. Braucht er eine Eintrittskarte für eine ausverkaufte Vorstellung, beobachtet er die Verkäufer so lange, bis er genau weiß, welchen von ihnen er überreden kann, damit es mit der Karte klappt.

Aus dem Werkzeugkästchen der Männer plaudern

Im Sommer wird dieser Mann einen Film in Stuttgart drehen. In diesem Film wird Baumann aus dem Werkzeugkästchen der Männer dieser Stadt plaudern. „Habib Rhapsody“ erzählt von vier Männern, von ihren Lebenslügen und der Schwierigkeit, ehrlich zu sich selbst zu sein, sagt Baumann. Denn ein richtiges Leben im Falschen gebe es nicht mal im Film. Auf den ersten Blick verbindet die Geschichten dieser Männer wenig. Blicke man jedoch auf die Geschichten hinter den Geschichten, auf psychische Dispositionen und Verhaltensmuster, destillierten sich wiederkehrende Mechanismen von Macht und Ohnmacht, Potenz und Impotenz, Kommunikation und Sprachlosigkeit heraus, erklärt Baumann.

Die Medien bemühen sich, den „neuen Mann“ zu definieren. Soll er ein Macho sein oder eine Heulsuse? Wie soll er Vaterschaft und Beruf erfolgreich vereinen? Baumann kombiniert diesen öffentlichen Zweifel mit seiner eigenen Identitätssuche: „Seit ich einen Sohn habe, musste ich meine Männlichkeit neu definieren. Ich habe reflexartig so oft meinen Vater kopiert, dass ich mit der Nase draufgestoßen wurde und mich in einigen Dingen deshalb neu erfinden musste.“ Diese Suche dürfte kaum einem frischen Vater fremd sein. Auch das Schreiben fange mit dem Zweifel an, sagt Baumann.

Baumann hat Pädagogik studiert, wollte zuerst Lehrer, dann Schauspieler werden. „Jetzt bin ich Filmemacher, und doch gehört alles für mich zusammen“, sagt er. Als Medienpädagoge drehte er Filme mit Kindern und Jugendlichen. „Ich bin aber ein immer schlechterer Pädagoge geworden, weil ich meine eigenen Geschichten durchdrücken wollte, dann war klar, ich muss damit aufhören“, schildert Baumann seinen Weg zum Filmemachen.

Seit Jahren arbeitet und lebt der 41-Jährige in Stuttgart ein Stuttgart-untypisches Leben: immer unterwegs, ohne festes Einkommen und ohne Statussymbole. Künstler zu sein sei anstrengend, sagt Baumann: „Mehr als 50 Prozent meiner Arbeit und Energie fließt in Arbeitsbeschaffung. Filmemachen ist schon komplex genug, das hätt ich gern anders.“ Obwohl der Alltag des Künstlers nicht immer gemütlich ist, lebt er ihn gern. Gern schreibt er Betthupferl-Geschichten für Kinder im Bayrischen Hörfunk, mal dreht er einen Imagefilm, mal trifft er die Bewohner des Stuttgarter Wilhelmsplatzes, um Organisatorisches über den neuen Film zu klären. Und mal verzweifelt er, wenn das Casting nicht so läuft, wie er sich das vorstellt.

Baumann nennt einige seiner Vorbilder: er möge die Verspieltheit von Miranda Julys erstem Film „Me and you and everybody we know“. Der Film „Tropical Malady“ (Regie: Apichatpong Weerasethakul) sei der Film, der ihn in den letzten Jahren am meisten beeindruckt habe. Die Gebrüder Dardenne stillen seinen Durst nach Echtheit. Deren Spuren glaubt man auch in Baumanns Film „Woyzeck“ zu erkennen, den er am Staatstheater in Stuttgart für eine Theaterproduktion drehte und in den er eine gehörige Portion Surrealismus und Verspieltheit einbrachte.

„Menschen am Rande der Gesellschaft, Leute zwischen den Gesellschaften, die Welt im Kleinen zu betrachten, das hat mich immer interessiert“, erklärt er. „Alles, was ich filmisch bisher gemacht habe, orientiert sich an den kleinen, nur scheinbar alltäglichen Situationen und Menschen.“ Als Realismus und Verfremdung, gewürzt mit einer gewissen Verspieltheit, bezeichnet er seine eigene filmische Richtung. Ein Jahr lang besuchte er etwa zusammen mit der Regisseurin Jenke Nordalm einen Friseursalon im Stuttgarter Westen für den Film „Waschen und Leben“, der Ende Januar in 3sat lief. Baumann blickt dahin, wo sonst keiner hinsieht. Über 70 Jahre alt ist die Dame, die jeden Tag Locken dreht und föhnt. Gemeinsam mit ihren Kunden ist sie alt geworden, einige sind über 90. Über die Jahre sind sich alle treu geblieben, teilen Kummer und Freude.

Mit seinem neuen Film nun will Baumann in die Männerseelen schauen. „Habib Rhapsody“ sei ein Ensemblefilm, also einer, in dem es nicht einen, sondern viele Helden gibt. „Vor Ensemblefilmen haben die meisten Angst“, sagt Baumann und freut sich darauf, jeder seiner Figuren im Film dieselbe Wichtigkeit zu geben.

Das Drehbuch ist bereits gekürt. Baumann und Koautorin Sabine Westermaier schnappten sich bei der diesjährigen Berlinale den Thomas-Strittmatter-Preis der MFG Filmförderung Baden-Württemberg. Diese Drehbuchförderung will das Bundesland als Filmstandort stärken. Das Drehbuch sei die Seele jedes Filmes, wurde auf der Preisverleihung gesagt.

„Es ist Sommer, und es ist heiß. Die Müllabfuhr streikt, und der Müll stinkt zum Himmel“ – schreibt Baumann in seiner Präsentationsmappe über den Film. Mit diesem Szenario empfing Stuttgart seinen neuen Bürger Baumann, als der 2006 aus Berlin nach Stuttgart zog. Und dieses Bild habe ihm die Angst vor der Stadt genommen, die einen so aufgeräumten Ruf genießt: „Und so wie die Stadt während des Streiks sind auch die Leben der Menschen am Platze in Unordnung geraten.“

Baumann sitzt in der lauten Kneipe, erzählt leise über starke Emotionen, gestikuliert verhalten. Er schildert die Last großer und kleiner Lebenslügen, die auf den Figuren lasten. Doch mit „Habib Rhapsody“ will er uns auch zum Lachen bringen. Dass Weinen und Lachen zusammengehören, weiß einer wie Baumann schon lange.