Saufen ist jetzt Bürgerpflicht

Aufgedeckt: Polizei verlangte bei 8.-Mai-Demonstration in Berlin Alkoholkonsum

Der Einsatzleiter einer importierten Hundertschaft wollte die Kreuzung räumen

Seit vielen Jahrzehnten heißt es, der Genuss von Alkohol schade der Gesundheit, mache dumm, träge, schläfrig und weiß der Teufel was. Irgendwann, da waren wir bislang sicher, werden auf Bier- und Schnapsflaschen die gleichen Warnhinweise prangen wie auf Zigarettenschachteln.

Wie die Wahrheit jedoch jetzt aus zuverlässiger Quelle erfuhr, greift die Staatsmacht bisweilen auf Alkohol zurück, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. So geschehen am 8. Mai 2005 in Berlin. Gegen den seinerzeitigen Aufmarsch der NPD entwickelte sich eine spontane Demonstration, die schließlich von den Behörden nur mit einer polizeilichen Auflage zum Konsum von Alkohol genehmigt wurde. Offenbar waren die Zustände in Berlin an jenem Tag so besorgniserregend, dass sich die Polizei veranlasst sah, an die Teilnehmer der Versammlung gegen den Nazi-Aufmarsch eine Auflage ergehen zu lassen, die folgenden Wortlaut hatte:

„Hiermit erteile ich Ihnen die Auflage, aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit während der Versammlung Alkohol zu konsumieren. Die Versammlungsbehörde, Pol Präs Berlin“

Die Maßnahme im Namen des Berliner Polizeipräsidenten ist äußerst ungewöhnlich und ein Novum in der deutschen Demonstrationsgeschichte. Bislang waren Demonstranten das Gegenteil gewöhnt und durften keinen Alkohol verzehren. Und nun das! Was für eine neue Polizeistrategie wird in Berlin verfolgt? Handelt es sich um eine ganz neue Form der Deeskalierung, nach dem Motto: Lasst die Gegendemonstranten sich dumm, träge und schläfrig trinken?

Doch was war tatsächlich geschehen? Wir dokumentieren die Ereignisse am 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus nach den der Wahrheit vorliegenden Unterlagen: Anlässlich des geplanten NPD-Aufmarschs in Berlin kam es an der Straßenkreuzung Stralauer Straße/Ecke Brückenstraße zu einer kleineren Sitzblockade. Der dienstbeflissene Einsatzleiter einer importierten nordrhein-westfälischen Hundertschaft (8. BPH/NRW) beabsichtigte, gegen 16 Uhr die Kreuzung räumen zu lassen. Um dieses Vorhaben zu verhindern, wurde eine „Spontanversammlung“ angemeldet.

Die Bearbeitung dieses Vorgangs überforderte offensichtlich den Einsatzleiter. Er rief über Funk den leitenden Polizeidirektor Prof. Knape herbei, der für dieses Gebiet zuständig sein sollte. In längeren Verhandlungen wurde dann von beiden Beamten die Versammlung an der Kreuzung unter Einhaltung bestimmter Auflagen genehmigt. Eine Auflage betraf erstaunlicherweise den Alkoholkonsum.

Mit Blick auf die unversehrte Gesundheit seiner Mandanten legte der ebenfalls anwesende Rechtsanwalt der Anmelder unverzüglich gegen die erteilte Auflage hinsichtlich des Alkoholkonsums Widerspruch ein und verlangte nach Maßgabe von § 39 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) eine schriftliche Begründung für die Auflage, die sofort vom zuständigen Ersten Polizeihauptkommissar (EPHK) schriftlich verfasst und ausgehändigt wurde. Eine Kopie liegt der Wahrheit vor. Ob der Anmelder über seinen Anwalt gegen diese Form der Auflage vorgeht, oder ob sie rechtlichen Bestand haben soll, ist bislang noch nicht entschieden. Wir werden den Fall weiterverfolgen und darüber berichten.

Sollte sich die Alkoholpflicht durchsetzen, werden die Ordnungskräfte für die Kosten aufkommen müssen, die bei der Erfüllung der Auflage entstehen. Saufen auf Kosten des Steuerzahlers – endlich ist es geschafft! Warum nicht mal ’ne Demoparty feiern: Einfach an der nächsten Ecke eine Spontanversammlung mit Freunden anmelden, und alles ist geritzt. DIETER GRÖNLING