Ausweisung auf Rezept

Illegale Migranten haben praktisch keinen Anspruch auf medizinische Versorgung: Wer zum Arzt geht, dem droht die Abschiebung. Eine neue Initiative plädiert für eine Grundversorgung für Illegale

VON PHILIPP DUDEK

Anspruch auf medizinische Versorgung ist in Deutschland ein Grundrecht für alle Menschen – auch für illegale Migranten. Doch schon bei der Frage nach der Chipkarte der Krankenkasse bekommen die Flüchtlinge ein unüberwindbares Problem: Ohne Papiere keine Versicherung, ohne Versicherung keine Chipkarte. Von einer medizinischen Regelversorgung sind illegale Flüchtlinge damit praktisch ausgeschlossen. Illegale, die zum Arzt gehen, müssen ihre Anonymität aufgeben. Damit droht ihnen die Abschiebung.

Zwischen 100.000 und 250.000 Menschen ohne Papiere leben in Berlin, schätzt Pater Jörg Alt vom Jesuitenflüchtlingsdienst. In ganz Deutschland seien es rund eine Million Menschen. Zusammen mit dem Verein Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und der Medizinischen Flüchtlingshilfe Berlin stellte Alt gestern die Kampagne „achten statt verachten“ vor. Die Beteiligten verlangen darin vom Bundestag unter anderem ein System anonymer Behandlungsangebote für Flüchtlinge ohne Papiere. „Aus Angst vor Entdeckung und Abschiebung werden viele Krankheiten so lange verschleppt, bis sie lebensbedrohlich werden“, sagte Elena Missbach von der Medizinischen Flüchtlingshilfe.

Die Initiative verlangt deshalb eine legale medizinische Regelversorgung für illegale Migranten sowie Rechtssicherheit für Ärzte, Pfarrer, Lehrer und andere, die den Flüchtlingen helfen. Die Meldepflicht an die Behörden müsse abgeschafft werden, damit diese Leute sich nicht selbst in die Illegalität begeben. Eine entsprechende Unterschriftenliste liegt derzeit in Arztpraxen und Krankenhäusern aus. Im Herbst sollen die Unterschriften dem Bundestagspräsidenten übergeben werden.

Noch ist die staatliche medizinische Vorsorge für Flüchtlinge von einer Regelversorgung weit entfernt. „Das Krankheitsspektrum der Flüchtlinge entspricht dem der normalen Bevölkerung“, sagte Missbach. Bislang wären die staatlichen Vorsorgeprogramme für Flüchtlinge allerdings ausschließlich seuchenorientiert angelegt. „Typhus und Cholera kommen bei illegalen Migranten ebenso selten vor wie beim durchschnittlichen Berliner“, sagte Missbach. „Das geht an der Realität vorbei. Die Leute müssen zum Zahnarzt, zum Internisten oder zum Gynäkologen.“ Diese Grundversorgung müsse dabei jederzeit unabhängig vom Aufenthaltsstatus sein, forderte Missbach.

Um eine medizinische Grundversorgung zumindest ansatzweise zu sichern, kümmern sich neben der kostenlos und ehrenamtlich arbeitenden Medizinischen Flüchtlingshilfe auch andere Initiativen um die illegalen Migranten. Rund 1.000 PatientInnen betreut die Flüchtlingshilfe jährlich in Berlin – und stößt dabei immer wieder an ihre Grenzen. „Wir arbeiten derzeit mit rund 100 Ärzten, Zahnärzten, Psychologen und Hebammen zusammen. Aber das reicht nicht“, sagte Missbach.