Eine Hoffnung, fast zu schön

Die Ökumene ist ein ein kirchlicher Dauerbrenner, und das eigentlich seit der Zeit, als Luther aufstand und nicht mehr anders können wollte. Mindestens. Seither hat man in vielen Punkten wieder zusammen gefunden. Von einer Einigkeit bei der Einheit aller Getauften kann deswegen noch keine Rede sein

Von Philipp Gessler

Am Tag der Trauerfeier für den toten Papst Johannes Paul II. Anfang April in Rom, machte sich das ökumenische Netzwerk „Initiative Kirche von unten“ (IKvu) einen kleinen Spaß. Die Reformorganisation, der bundesweit 37 Basisgemeinden angehören, erklärte: „Mit großer Freude“ nehme man zur Kenntnis, „dass Kardinal Ratzinger während der Totenmesse für Papst Johannes Paul II. auch protestantischen Trauergästen die Kommunion gegeben hat“. Der spätere Papst Kardinal Joseph Ratzinger reichte dem protestantischen Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, die Hostie. Verena Mosen als Sprecherin der IKvu erklärte: „Damit dürfte der Abendmahlsstreit positiv und im Sinne der IKvu entschieden sein.“

Zugegeben, das hatte etwas von einem Insider-Gag: Vor zwei Jahren hatte die IKvu auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin zwei Gottesdienste mit Gemeinsamen Abendmahl, genauer: „eucharistischer Gastfreundschaft“, organisiert – und damit ein umstrittenes ökumenisches Ausrufezeichen gesetzt. Ein katholischer Priester gab in einer katholischen Messe Protestanten die Eucharistie, später nahm ein katholischer Priester bei einem evangelischen Gottesdienst das Abendmahl.

Das darf – Ökumene hin oder her – nach Ansicht Roms nicht sein. Die beiden katholischen Priester wurden suspendiert. Ratzinger, der jetzige Papst Benedikt XVI., tat Gleiches in Rom vor einem Milliarden-TV-Publikum dennoch für Frère Roger aus Taizé.

Natürlich war dies kein Durchbruch in der Ökumene. Aber wie steht es um die Mühen für die Einheit aller Getauften? Auch um dieses Thema ringen die evangelischen Christenmenschen auf diesem Kirchentag.

Nüchtern betrachtet: nicht besonders gut. Das Papstdokument „Dominus Iesus“, veröffentlicht vor fünf Jahren, wirkt immer noch nach. Fast in einem Nebensatz sprach dieses Vatikanpapier, unterschrieben vom damaligen Kardinal Ratzinger als Leiter der Glaubenskongregation in Rom, den evangelischen Kirchen ihr Kirche-Sein ab – „das hat uns sehr weh getan“, sagt Michael Plathow noch heute. Der Professor für Systematische Theologie ist Direktor des Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim. Es ist eine Institution der deutschen evangelischen Kirche, die die Ökumene erforscht.

Der „Dominus Iesus“-Schock kam umso überraschender, als es zuvor bei der Ökumene seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom (1962-65) einigermaßen stetig immer voran ging. Das Konzil hatte die Ökumene als Aufgabe der römischen Kirche beschrieben – auch weil „außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heilung und der Wahrheit zu finden sind“. Seitdem entwickelte sich die Ökumene gerade hierzulande im Alltag zu einer Selbstverständlichkeit: regelmäßigen Gebetstreffen gibt es, über zwischenkonfessionelle Kontakte der Gemeinden, Bibelwochen, Weltgebetstage der Frauen, Gebetswochen für die Einheit der Christen und ökumenische Trauergottesdienste. Auch die Taufe wurde nun wechselseitig anerkannt, das heißt man betrachtete und achtete sich gegenseitig als Christ oder Christin.

Ein Höhepunkt der Annäherung war 1999 die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. In ihr erklärten die katholischen und evangelischen Kirchen, sie verstünden einen Hauptstreitpunkt für die Kirchentrennung im 16. Jahrhundert, Luthers Rechtfertigungslehre (Wie kann ich gerecht werden vor Gott?), heute so, dass sie die Kirchen nicht mehr trenne. Nach Unterzeichnung des Dokuments am Reformationstag war eine gewisse ökumenische Euphorie zu spüren – die mit „Dominus Iesus“ aus der Hand des jetzigen Papstes Benedikt XVI. jedoch schlagartig verschwunden war. Dass zudem der Ökumenische Kirchentag offiziell auf ein Gemeinsames Abendmahl verzichtete, ja dass die, die es dennoch zu feiern wagten, brutal abgestraft wurden, weil man evangelischen Christen die Eucharistie nur in strikten Ausnahmefällen geben dürfe – all das war der Ökumene wenig förderlich.

Seitdem herrscht sanfte Katerstimmung bei denen, die die Ökumene bewegt.

Von einem „Stillstand“, wenn auch auf recht hohem Niveau, spricht etwa Wolfgang Thönissen, Leiter des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn – das katholische Pendant der Bensheimer Institution. „Dominus Iesus“ werde zwar in den Fachkreisen nicht mehr wirklich diskutiert. Aber als „hässliche Scharte“ sei der Konflikt, der damals einige protestantische Gesprächspartner beleidigt, ja verletzt habe, noch da. Zentrale Hindernisse im Dialog zwischen Katholiken und Protestanten seien immer noch das „Amtsverständnis“, also die Frage, ob der Priester, etwas überspitzt, herausgehoben sei aus der Gemeinde (katholisch) oder nicht (evangelisch). Dazu passt auch die Frage des „Petrusamtes“, also gehört zur Kirche wesentlich der Papst als oberste Lehrautorität (katholisch) – oder nicht (evangelisch).

Auch angesichts dieser Mühlsteine und des „Dominus Iesus“-Schocks betonten sowohl die katholische wie die evangelischen Kirchen in letzter Zeit vermehrt ihre eigenen Grundprinzipien, vornehmer ausgedrückt: Sie klären ihre eigenen Identitäten. Das kann dazu führen, dass etwa die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) im vergangenen November ein Papier zum „Allgemeinen Priestertum“ veröffentlichte, das der Ökumene-Experte im Vatikan, Kardinal Walter Kasper, fast erschüttert so kommentierte: „Das Papier spaltet nicht nur Katholiken und Lutheraner, Lutheraner und Anglikaner; es spaltet auch die lutherische Kirchengemeinschaft selbst. Es führt keinen Schritt weiter. Es stimmt einfach traurig.“

In dieser eher tristen Lage heften sich nun manche Hoffnungen auf den neuen Papst aus Deutschland, der unmittelbar nach seiner Wahl im April erklärte, ein Hauptanliegen seines Pontifikats werde die Einheit der Christen sein. Gerade der bisherige Kettenhund Ratzinger als Schmusekatze der Ökumene? Der emeritierte evangelische Professor Eberhard Jüngel hat für eine Analyse der Theologie Ratzingers in der FAZ noch einmal die Schriften des jetzigen Papst durchforstet und die bezeichnende Aussage gefunden: Die heutigen evangelischen Landeskirchen seien nur „zufällige historische Bildungen“. Ein Dialog auf Augenhöhe hört sich anders an.

Dennoch ist Jüngel nicht hoffnungslos beim neuen Papst: „Ökumenische Schummelei ist seine Sache nicht“, schreibt Jüngel mit Blick auf die nicht seltenen Formelkompromisse, von denen die Ökumene in den vergangenen Jahrzehnten auch lebte. „Der ökumenischen Theologie steht also harte Arbeit bevor.“

Ähnlich sieht es auch Thönissen, „keine Schummeleien“ mehr, warnt er. Man habe zwar gelernt, in mehr als 400 Jahren anders zu reden – dennoch könne man zwischen den Kirchen im Trennenden auch das jeweils Eigene erkennen, wenn man es zu entschlüsseln verstehe. Dazu aber müsse man vom anderen viel wissen. Erst dies ermögliche „Einheit in der Differenz“ oder ein „differenzierter Konsens“, so die ökumenischen Schlagworte. Das (Wieder-)Entdecken der eigenen konfessionellen Identität könne die „Ökumene beflügeln“, meint auch Plathow. Schluss mit der „Schmuse-Ökumene“!

Hoffnung, so sagt es zum Abschluss sein Kollege Thönissen, machten ihm da viele junge Leute, die sich – siehe das Papstbegräbnis mit auch unzähligen nicht-katholischen Pilgern in Rom – „nicht mehr scheuen, religiös zu sein“. Glauben scheine für sie ein Element einer vielfältigen Lebensgestaltung zu sein mit eigenen, jedoch nicht abgrenzenden Identitäten: „Ich kann für den Papst sein, aber nicht zugleich gegen Luther.“ Eine Hoffnung, fast zu schön, um wahr zu sein. Aber Hoffnung gehört nun mal zum Glauben. Das eint alle Konfessionen.