Wenig Betrieb – noch weniger Hoffnung

Nach den angekündigten Neuwahlen sind die Berliner unschlüssig, was sie von Schröders Coup halten sollen. Dass sich ihre private Lage nach einem Regierungswechsel bessert, glauben die wenigsten. Ein Besuch in drei Einkaufszentren

„Wenn die CDU ans Ruder kommt, wird es noch härtere soziale Einschnitte geben“

Das Stilwerk in Charlottenburg ist Berlins Wohndesign-Tempel. Schräg gegenüber liegt die noble „Paris Bar“, ein paar Meter weiter das schicke Theater des Westens. Wer hier einkauft, der kennt Hartz IV nur vom Hörensagen. Auf vier Etagen erstrecken sich edle Sofas, futuristische Tischleuchten und überteuerte Flaschenöffner. Das Café im Erdgeschoss serviert den Latte Macchiato zu seichtem Italo-Jazz. Michael Gruse, Unternehmensberater, gönnt sich und seiner Frau hier eine kleine Shopping-Pause. Dass die vorgezogenen Neuwahlen einen Machtwechsel mit sich bringen werden, steht für den 51-Jährigen außer Frage. „Die rot-grüne Regierung ist schon viel zu lange dran. Schröder hätte deutlich früher abgesägt werden müssen“, sagt er. Wird es denn besser mit der CDU? Gruse macht auf pathetisch und kramt ganz tief in seiner Lateinkiste: „Solange ich atme, so lange hoffe ich.“

Ein paar Meter weiter stöckelt Claudia Sommer Richtung Ausgang. Die Werbekauffrau, 34, sieht unzufrieden aus, was daran liegen mag, dass sie das Stilwerk heute mit leeren Händen verlässt. Auch die Frage nach der Lage der Nation heitert sie nicht auf. „Vor lauter Reformen ist Deutschland im Moment doch völlig blockiert. Es muss endlich etwas passieren“, sagt sie. „Wenn die CDU jetzt das Ruder übernimmt, dann bringt das vielleicht wenigstens ein bisschen frischen Wind. Mit weiteren harten Einschnitten rechne ich so oder so.“

Während die aufgetakelte Werberin sich auf den Heimweg macht, poliert Rita Tidow die riesigen Fensterfronten. Der Putzfrau ist es „völlig egal“, wer Deutschland regiert, auch wenn sie – natürlich – hofft, dass es mit der CDU besser wird. Aber dass Schröder nun den Wählern die Entscheidung überlässt, das findet sie gut: „Der Gerhard hat immerhin Charakter.“

∗∗∗

Es ist wenig los an diesem Vormittag vor und im LPG-Biomarkt am Mehringdamm. Vor dem gelb-grün gestrichenen Tempel der gesunden Esser tummeln sich vereinzelt Latte-Trinker und Zeitungsleser auf der Hinterhofterrasse, drinnen wandeln Käufer in aller Ruhe zwischen Bioseife und Biowein. Die meisten Kunden haben gemischte Gefühle, wenn sie an die angekündigten Bundestags-Neuwahlen denken.

Hinter seiner Glastheke steht LPG-Verkäufer Jerg Schefold, 35. Er findet die Geste der Sozialdemokraten mutig und couragiert, da die gegenseitige Lähmung von Regierung und Opposition dadurch aufgehoben werden könne und so neue Handlungsmöglichkeiten entstehen. Schefold zieht den historischen Vergleich zur Weimarer Republik, die an ähnlichen Pattsituationen gescheitert sei. Sollte die CDU die vorgezogenen Wahlen für sich entscheiden, „müssen die Leute auch dazu stehen können“.

Erst war sie überrascht über die theatralische Geste der Regierung, sagt Martina, eine 36-jährige Physiotherapeutin, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Inzwischen sei sie zur Einsicht gekommen, „dass es wahrscheinlich das Vernünftigste ist“. Sie kann sich trotzdem vorstellen, dass Rot-Grün noch eine Chance hat – weil die CDU es „auch nicht besser weiß“.

Vor dem Gebäude wartet der 36-jährige Aslan Veli auf seine Frau. Der Versicherungskaufmann findet die Entscheidung „richtig scheiße“. Seiner Meinung nach hat die CDU unter Kanzler Helmut Kohl Deutschland in die jetzige prekäre Lage gebracht. Nun spiele sie der SPD den schwarzen Peter zu. „Die Sozialdemokraten sollten die gleiche Chance haben wie die Christdemokraten.“ Trotzdem respektiert er die „politisch gekonnte Entscheidung“ der Sozialdemokraten. Angst vor einer CDU-geführten Regierung hat er nicht. Er misstraut aber dem Gedankengut, das eine konservative Mehrheit mit sich bringen würde.

∗∗∗

Im Ring-Center in der Frankfurter Allee sind um die Mittagszeit hauptsächlich Rentner, junge Mütter mit Kinderwagen und Schüler unterwegs. Das Einkaufszentrum mit 110 Geschäften liegt an der Grenze zwischen Friedrichshain und Lichtenberg. Es herrscht wenig Betrieb – und noch weniger Hoffnung, dass ein Regierungswechsel die soziale Lage verbessern könne.

„Die SPD hat nichts bewirkt, aber die CDU wird die Arbeitslosigkeit auch nicht senken können“, glaubt die Rentnerin Hannelore Meier. Doch genau darum gehe es in Friedrichshain und Lichtenberg. „Soll’s die CDU doch machen. Rauskommen wird wahrscheinlich sowieso nichts“, tönt auch Sebastian Kühntopp. Überhaupt habe er andere Sorgen. „Ich habe gerade erfahren, dass die BVG morgen streikt. Wie soll ich dann zur Schule kommen?“, ärgert sich der 23-Jährige. Momentan macht er eine Umschulung.

Dieter Krüger ist Fliesenleger, aber ohne Arbeit. Ins Ring-Center ist der 44-Jährige zum Mittagessen gekommen: Gerade hat er sich eine Bratwurst gekauft. „Ich fände es gut, wenn ein Wechsel stattfinden würde. Es ist alles so festgefahren. Aber für uns kleine Leute wird sich sowieso nichts ändern“, sagt er.

Gerhard Schurwanz sieht das anders: „Wer gestern in NRW aus Trotz CDU gewählt hat, wird sich noch umkieken“, warnt der 68-Jährige. Bevor er in Rente ging, war der traditionelle SPD-Wähler Werkzeugmacher. „Wenn die Christdemokraten ans Ruder kommen, wird es nur noch härtere soziale Einschnitte geben.“ Deswegen hält auch die zwei Jahre jüngere Eva-Maria Lenz eine Vorverlegung der Wahlen für falsch. „Vielleicht hätten die Leute die Reformen bis zum nächsten Jahr eher akzeptiert“, sagt die Apothekerin. Normalerweise wählt sie die PDS, im Herbst wird sie aber der SPD ihre Stimme geben – um zu verhindern, dass die CDU gewinnt und eine Koalition mit der FDP eingeht.

Nicht alle wollen sich zu dem Thema äußern. So auch ein junges Pärchen, das eilig zum Ausgang läuft. Ob sie denn mitbekommen haben, dass gestern Wahlen stattgefunden haben? Die beiden schütteln den Kopf. „Wir sind nicht von hier.“

CHRISTO FÖRSTER
LUC CAREGARI, NICOLE WELGEN