Ein Gespür für den richtigen Moment

Die Doppelausstellung „Erich Salomon und Barbara Klemm“ zeigt die Arbeiten zweier Künstler, die in der Fotografie Maßstäbe setzten. Eins verbindet die Bilder: Sie erlauben den Blick hinter die Kulissen des Politikgeschäfts, zeigen Menschen im Gespräch

Von JÜRGEN SCHÖN

Gut 15 Jahre, von 1928 bis 1944, dokumentierte Erich Salomon mit der Kamera das politische Weltgeschehen. Eine kurze Zeit, doch lang genug, um Maßstäbe für den modernen Fotojournalismus zu setzen. Für viele ist er seitdem Vorbild, auch für Barbara Klemm, Jahrgang 1939. Beiden widmet die Stiftung Kultur der Stadtsparkasse KölnBonn jetzt eine umfangreiche Doppelausstellung mit insgesamt über 250 Fotos.

Bislang wurde Salomon, den die Nazis im KZ Auschwitz ermordeten, vor allem unter dem Gesichtspunkt rezipiert, wann und bei welchen wichtigen politischen Konferenzen seiner Zeit er dabei war. Ausstellungskurator Janos Frecot fand einen anderen Zugang zu Salomons Werk. Bei der Auswertung des 5.000 Papierabzüge und 20.000 Negative umfassenden Archivs erschlossen sich ihm verschiedene „Typologien“, die eins verbindet: Sie zeigen die Menschen im Gespräch. Sei es während der Sitzungen oder in den Pausen. Für Frecot der Hinweis auf das demokratische Grundverständnis Salomons, nach dem auch in kontroversen Fragen immer ein Kompromiss gefunden werden kann, wenn nur ernsthaft darüber gesprochen wird.

Zu diesem Verständnis gehört auch, Politiker als Menschen zu zeigen, sie vom hohen Podest zu holen. Es sind diese intimen, nie diffamierenden Bilder, die Salomon zu einem von den damaligen demokratischen Größen auch in der Nähe respektierten Dokumentaristen machten.

Mit Salomon hat Barbara Klemm, die 1989 den Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie erhielt, viele Gemeinsamkeiten. Da ist der bewusste Verzicht auf Blitzlicht, die Wahl von Schwarz-Weiß statt Farbe. Mag das bei Salomon technische Gründe gehabt haben, so will Klemm nichts vom Trend zum Bunten wissen. „Schwarz-Weiß gibt einer Tageszeitung Struktur. Farbe lenkt vom Wesentlichen ab“, so ihr Credo. Gemeinsam ist beiden auch der Blick für die Komposition des Bildes, die eine geistige Vorbereitung voraussetzt und Geduld und Reaktionsschnelligkeit braucht, um im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken.

Auch Klemm blickt hinter die Kulissen des Politikgeschäfts, achtet dabei allerdings eher auf den Riss in der Fassade – etwa auf die Spannung zwischen den SPD-Genossen Willy Brandt und Helmut Schmidt, die auf ihrem Foto zu siamesischen Zwillingen verwachsen, die den Blickkontakt krampfhaft vermeiden. Oder auf das zwanghafte Besingen des Sozialismus von Egon Krenz und Günther Schabowski am Vorabend des Untergangs. Oder auf einen den Staatsbesuch genießenden Erich Honecker neben einem verkniffenen Helmut Kohl 1987 in Bonn.

Wie Salomon will auch Klemm möglichst nah an das Geschehen. Von ihm hat sie sich das oft freche Selbstbewusstsein abgeguckt, um an Absperrungen und Sicherheitskräften vorbei ans Ziel zu gelangen. Allerdings arbeitet sie nie mit versteckter Kamera oder aus dem Hinterhalt wie Salomon, der sich etwa bei der Zweiten Haager Konferenz 1930 hinter einem Wandschirm verbarg. Doch ist es immer schwerer geworden, in die Nähe der Politiker zu kommen, hat Klemm erfahren. „Da sind zum einen die vielen TV-Teams, die mit viel technischem Gerät rücksichtslos den Platz in der ersten Reihe beanspruchen. Und für die Politiker ist das Fernsehen wichtiger als die Printpresse, sie haben gelernt, sich fernsehgerecht zu verhalten.“

Nah am Geschehen sein heißt für Klemm aber auch persönliche Distanz bewahren. „Bei den Studentendemonstrationen 1968 in Frankfurt war ich zu nah dran, das ist den Bildern nicht bekommen“, blickt sie zurück. Schon damals gelang ihr ein bemerkenswerter Schnappschuss: Hinter den Demonstranten thront auf einer Leiter ein schutzbehelmter Joschka Fischer: Alles im Blick.

„Erich Salomon und Barbara Klemm“: Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Im mediapark 7, Köln, bis 24. Juli, Do-Di 14-19 Uhr