Für Kopf, Ohren und Straßenkampf

Das Schwabinggrad Ballet versammelt 20 Aktivistinnen des Butt-Clubs und macht Musik weniger einfach, aber politisierender. Mit mobilen Instrumenten werden gängige Liedschemata abgeschafft

Musik kann zu einer Waffe werden, meinte einst Rio Reiser von Ton Steine Scherben, textete „Keine Macht für Niemand“ und sang „Die letzte Schlacht gewinnen wir“. Musik als Waffe, das ist ohne Frage auch die Grundthese des Schwabinggrad Balletts, das heute seine erste CD veröffentlicht. Doch was Rio Reiser vor allem auf die Inhalte der Texte bezog, wird vom Schwabinggrad Ballett auf die Musik erweitert.

Das sich personell aus dem Umfeld des Hamburger Butt-Clubs rekrutierende Ballett hat sich für sein musikalisches Wirken einen klaren Auftrag gegeben: Mit „flexiblen Auftrittsstrategien“ wollen die fast 20 KünstlerInnen und AktivistInnen „Verwirrung stiften, Formen aufbrechen, politisieren, reaktivieren“. Ganz klar, das ist keine einfache Musikkost, sondern harte Arbeit: Erst für die Ohren, dann für den Kopf und am Ende möglicherweise im Straßenkampf.

Im Jahr 2000 hat sich das Ballet zusammengefunden. Mit dabei sind MusikerInnen wie Ted Gaier, Bernadette La Hengst, Knarf Rellöm, Thomas Butteweg und AktivistInnen wie die Stadtethnologin Kathrin Wildner oder der Journalist Christoph Twickel. Ihr musik-politisches Engagement tragen sie auf Lesungen, Konzerten oder bei Demonstrationen vor. Wenn sie von „Formen aufbrechen“ und „politisieren“ reden, dann meinen sie nicht nur Herrschaftsstrukturen, sondern fordern und betreiben immer auch die Überprüfung des eigenen Denkens und Handelns.

Es geht schon um Musik, irgendwie, aber eben um mehr. Balletttänzer Ted Gaier hat mal irgendwo gesagt, dass der „Refrain tendenziell faschistisch ist“. Man könnte den Verdacht bekommen, dass er im Rahmen des Schwabinggrad-Balletts für diese These jede Menge Bündnispartner gefunden hat. Das gängige Liedschema von Strophe, Refrain, Solopart von Gitarre, Keyboard oder Saxophon verbietet sich daher aus politischen Gründen von selbst. Auch die Anforderung, dass alle Songs mobil, also auf einer Demonstration machbar sein müssen, hat Folgen. Trommeln, Geigen, Banjos und Akkordeon, akustischer Bass, ein akku-betriebenes Keyboard und einiges mehr liefern einen Sound, den man vielleicht Akustik-Techno-Trash nennen könnte. Immer wieder brechen die Songs um, sind vielschichtig gebaut und greifen auf eine Vielzahl von Klang - und Stilarten zurück, die jede Klassifizierung unmöglich machen.

Wie Musik zu einer Waffe werden kann, machte vor Jahren die Bundesbahn klar, als sie auf dem Vorplatz und in den Tunneln des Hamburger Hauptbahnhofs klassische Musik spielen ließ, um unerwünschte Menschen zu vertreiben. Mit den eigenen Waffen, nein, Instrumenten widmet sich das Schwabinggrad Ballet in dem Song „65 Sekunden Hauptbahnhof“ dieser Kampfform. Natürlich nicht schön, aber spannend!

Wer diese Scheibe haben will, kann sie unter www.staubgold.com bestellen oder ab heute in Plattenläden jenseits der Konsumtempel aufsuchen.

Dirk Seifert

Releaseparty am 2. Juni, ab 21 Uhr im Butt-Club, Hafenstraße