„Keiner wusste, wie gut ich bin“

TISCHTENNIS Irene Ivancan ist als Vize-Europameisterin im deutschen WM-Team gesetzt. Zur Auswahl gehörte sie lange Zeit nicht. Sie galt als schwierig und viel zu undiszipliniert

■ Die 28 Jahre alte gebürtige Stuttgarterin feierte im vergangenen Jahr mit dem Gewinn der Silbermedaille bei den Europameisterschaften in Danzig ihren bisher größten internationalen Erfolg. In der Bundesliga ist die Nummer 49 der Weltrangliste für den TTC Berlin eastside aktiv. Neben ihrer sportlichen Karriere absolvierte Ivancan an der FH Ansbach ein Fernstudium im Fach International Management. Ihren ersten Auftritt bei der Team-WM in Dortmund gestaltete Ivancan erfolgreich. Sie gewann gegen Xian Yi Fang mit 3:0 (11:5, 11:8, 13:11) und steuerte so einen Punkt zum 3:0-Erfolg der Deutschen gegen Frankreich bei.

INTERVIEW LENNART WEHKING
UND JAN LÜKE

taz: Frau Ivancan, können Sie sich noch an Ihre letzte WM-Teilnahme erinnern?

Irene Ivancan: Das weiß ich noch sehr genau. Das war 2005 in Schanghai. Die Nominierung kam damals überraschend. Ich hatte davor noch nie eine EM oder WM gespielt. Noch nicht mal bei der Jugend. Aber das war ein kurzes Vergnügen: Erster Turniertag, erstes Spiel verloren, direkt raus.

Welche Ziele haben Sie sich für Dortmund gesetzt?

Mit Blick auf die Olympischen Spiele ist es wichtig, dass wir bei der WM gut abschneiden. Das heißt für uns: Viertelfinale. Wir möchten mit der Mannschaft nach London. Darüber hinaus gucken wir dann mal. Über eine Medaille würde ich mich aber sicher nicht ärgern (lacht).

Sie sind EM-Zweite, WM-Starterin und bald in der Einzel-Qualifikation für Olympia. Wenn man Sie vor zwei Jahren gefragt hätte …

… hätte ich nie daran geglaubt! Bis 2009 war mein großes Ziel, bei der EM in meiner Heimatstadt Stuttgart dabei zu sein. Das habe ich leider nicht geschafft. Danach habe ich eigentlich, na ja, vielleicht nicht aufgegeben, aber gesagt: Dann soll’s eben nicht sein. Ich habe zwar weiterhin auf hohem Niveau trainiert und Wettkämpfe gespielt, aber auch angefangen, nach anderen Dingen Ausschau zu halten. Da ist bei mir eine Balance eingekehrt.

Sie hatten mit der Nationalmannschaft schon abgeschlossen?

Ja, das hatte ich für mich beiseitegeschoben.

Wie war das? Wissen, dass man das Potenzial hat und es doch nicht zeigen darf.

Das hat sich wie ein roter Faden durch meine Karriere gezogen. Ich bin schon in der Jugend nicht für Europameisterschaften nominiert worden, weil ich nicht konstant genug spielte. Ich hatte zwar immer hohe Leistungsausschläge nach oben, aber ich wurde nie als die Spielerin gesehen, von der man gesagt hat: Auf die setzen wir, die gewinnt sicher. Wenn ich nur die letzten drei, vier Jahre zurückblicke: Es war beschissen. Ich habe im Training locker mitgehalten. Und auch andere Spielerinnen haben immer wieder gesagt: Du bist gut, du hast das Talent, jetzt gib dir doch noch mal einen Ruck! Aber so einfach ist das nicht mehr. Es gibt eben auch andere Einflüsse. Wie einen Trainer. Oder wie die bitteren Erfahrungen der Vorjahre.

Woran lag es, dass Sie so lange außen vor waren im Nationalteam?

Ich weiß nicht, wie es sich als Trainer anfühlt, wenn du jemanden in der Trainingsgruppe hast, der manchmal zu spät oder gar nicht kommt oder mal Quatsch macht. Am Anfang wusste niemand so genau, wie gut ich bin. Was sie wussten: Die Zusammenarbeit wird anstrengend. Du musstest mir keine Vorhand, keine Rückhand, keine Aufschläge beibringen. Aber du musstest mir beibringen, pünktlich zu sein, Disziplin zu zeigen, konstant zu trainieren. Das war für viele zu schwierig. Oder sie haben nicht gesehen: Da ist eine, die solche Dinge lernen muss.

Muss man das nicht selbst erkennen?

Klar! Aber ich kannte es einfach nicht anders. Früher wurde mir viel hinterhergetragen. Wenn ich keine Lust hatte zu laufen, haben mich die Trainer aus dem Bett gezerrt und in die Laufschuhe gesteckt. Man kann es auch anders sehen: Das ist Leistungssport. Wenn man wenige Topspielerinnen mit ganz unterschiedlichem Charakter hat, kann man sich auch denen etwas anpassen. Man muss nicht gleich sagen: Wer sich nicht unterordnet, wer da nicht reinpasst – tschüss!

Die Strukturen waren nicht optimal für Ihr Naturell?

Nein, das waren sie nicht. Ich will niemanden beschuldigen, aber ich glaube, dass es lange nicht gepasst hat.

Und mittlerweile haben sich beide Seiten angenähert?

Ja, ich habe gemerkt, dass Organisation auch Sicherheit geben kann. Ich habe immer wieder Momente, in denen das unglaublich schwierig ist. Aber es tut mir gut. Ich merke, dass ich sportlich große Fortschritte mache.

Gab es einen Moment, an dem es klick gemacht hat?

Ja, den gab es. Ich habe vor eineinhalb Jahren in England gegen Samara (rumänische Topspielerin, Anm. der Red.) gespielt. Und ich habe sie dermaßen abgezogen, dass ich gemerkt habe: Hey, da ist noch mehr drin! Mein Spielsystem ist gefährlich, ich kann gewinnen und ich will gewinnen. Und darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass mich mein sportlicher Werdegang mit seinen Höhen und Tiefen hat ruhiger und ausgeglichener werden lassen.

Zurück zur WM: Ist es für das Frauen-Team schwierig, dass fast alle nur auf die Männer und da besonders auf Timo Boll schauen?

Wir machen uns nichts vor: Das Interesse wird wohl nie ausgewogen sein. Aber das Gefälle darf nicht zu groß werden. Wenn immer nur die Herren im Mittelpunkt stehen, wird das Damen-Tischtennis zu weit in den Hintergrund gerückt. In der Damen-Bundesliga gibt es ja jetzt schon immer weniger Vereine, die Zuschauerzahlen gehen zurück. Ich hätte nichts dagegen, wenn ich dem Damensport ein Gesicht geben könnte. Nicht weil ich das unbedingt machen möchte, ganz sicher nicht. Aber ich glaube, dass das Damen-Tischtennis dann wieder mehr anerkannt und wahrgenommen werden könnte.