23 Minutes of Revolution

ARABELLION Ein Jahr nach Beginn des Aufstands in Syrien trafen sich Oppositionelle im Haus der Kulturen der Welt. Sie diskutierten leidenschaftlich über die richtige Strategie, Assad in die Knie zu zwingen

Ex-Staatsminister Günter Gloser (SPD) plädiert dennoch für Gespräche

VON SONJA VOGEL

Vor fast genau einem Jahr im März protestierten in südsyrischen Daraa erstmals Tausende gegen das Regime Baschar al-Assads. Aus diesem Anlass fand am Freitagabend im Haus der Kulturen der Welt unter dem Titel „Ein Jahr Revolution in Syrien – Zwischen friedlichem Kampf und brutaler Unterdrückung“ ein Abend für die syrische Opposition statt.

Der kleine Saal war mit 400 Menschen überbelegt. Viele trugen Tücher und Fahnen in Grün-Weiß-Rot, den Farben der syrischen Revolte. „Wir wollen aus dem Gefühl der Passivität und Gelähmtheit herauskommen“, erklärte die Journalistin und Moderatorin Kristin Helberg. „Smuggling 23 Minutes of Revolution“, ein Dokumentarfilm einer anonymen Filmemacherin, eröffnete den Abend. Er erzählt die Geschichte der Revolte gegen die Baath-Partei in Hama. Schon 1982 waren hier 20.000 Menschen von der syrischen Luftwaffe ermordet worden. Nun, am 3. Juni letzten Jahres, gab es erneut ein Massaker: Sicherheitskräfte erschossen reihenweise unbewaffnete DemonstrantInnen. „Heute schauen wir wieder nach Hama“, holte Helberg das Publikum ins Jetzt zurück.

Tatsächlich hat sich die Lage in Syrien dramatisch zugespitzt. Jeden Tag sterben Menschen, von insgesamt 8.500 zivilen Todesopfern gehen Menschenrechtsgruppen und die UNO derzeit aus. Zehntausende flüchten in die Nachbarstaaten.

Drei Hilfsorganisationen stellten am Freitag ihre Projekte vor. Mit „Adopt a Family“ haben sie ein niedrigschwelliges Hilfssystem entwickelt: Lokale AktivistInnen schmuggeln Spendengelder und Medikamente über die Grenze. „Nicht legal, aber legitim“ nennt dies ein Sprecher der Deutsch-Syrischen Forums.

Als Suheir al-Atassi vorgestellt wird, gibt es tosenden Applaus. Sie ist eine bekannte Vertreterin des Revolutionsausschusses. Atemlos spricht sie von den zerstörten Vorstädten von Damaskus, klagt Folter und die Tatenlosigkeit der Staatengemeinschaft an. „Wenn man erklärt, nicht zu intervenieren, steigen die Opferzahlen an“, ruft sie. Die Staatengemeinschaft wisse vom Terror des Assad-Regimes gegen die Bevölkerung, sagt auch George Sabra, hochrangiges Mitglied des Syrischen Nationalrats. Trotzdem wolle die UNO sich weder einmischen noch die Freie Syrische Armee bewaffnen: „Man lässt das syrische Volk allein.“

Sabra plädiert für Schutzzonen, die von UN-Blauhelmen gesichert werden könnten. Gäbe es aber keine Unterstützung durch die Staatengemeinschaft, drohe unweigerlich der Bürgerkrieg. „Wenn Waffen benötigt werden, werden sie auch geliefert.“ Schließlich könne niemand den SyrerInnen verordnen: „Verbringt noch 50 Jahre im Despotismus!“ Al-Atassi sprach sich deshalb für die kontrollierte Bewaffnung der Freien Syrischen Armee aus. Zum Schutz der friedlichen Proteste.

Schließlich lieferten der Iran und die Hisbollah Waffen an Damaskus. Ohne die Bewaffnung der Freien Syrischen Armee werde es einen konfessionellen Bürgerkrieg geben, eine neue al-Qaida und Hunderttausende Flüchtlinge, prophezeite Monzer Makhous vom Nationalrat.

„Die Bewaffnung der Rebellen spielt dem Regime in die Hände“, meinte hingegen Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie erntete Applaus und Protestrufe. Doch was dann? Gespräche mit Baschar al-Assad? Wie oft schon hat die UNO mit Verhandlungen Diktatoren gestärkt, statt diese zu schwächen? Der SPD-Mann und ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Gloser, plädiert dennoch für Gespräche. In Deutschland steht er mit dieser Forderung nicht allein.

„Ich bin kein alevitischer Vertreter, sondern syrischer Bürger“, wies Monzer Makhous zwar die Moderatorin einmal zurecht. Dennoch blieben die syrischen VertreterInnen in ihren Forderungen uneins. Ein Jahr nach Beginn der Aufstände ist die Gemengelage auch innerhalb der Opposition kaum überschaubar. Alle haben Angst vor einem Bürgerkrieg. Besonders die Minderheiten fürchten die Einflussnahme radikaler Salafisten aus Saudi-Arabien und Katar, die die Freie Syrische Arme mit Waffen beliefert. Das ist auch im Publikum spürbar.

„Sogar meine Familie ist gespalten“, sorgte sich ein in Berlin lebender Syrer. Die Opposition müsse eingestehen, dass der Rückhalt Assads größer sei als gehofft. „Das Regime ist nicht nur eine einzige Person, es ist im Volk verwurzelt“, sagte er. Auch nach dem Sturz drohe darum ein Bürgerkrieg.

Schließlich fragte der Politikwissenschaftler Hajo Funke, was sich die DiskutantInnen konkret von Deutschland erhofften. Die Nationalräte blieben eine Antwort schuldig. Trotz der Euphorie der TeilnehmerInnen blieb darum das ungute Gefühl, dass es eben auch der Opposition an Konzepten und Strukturen mangelt; Stimmen aus dem Publikum wünschten sich vor allem mehr Transparenz vom Nationalrat. Daran konnte auch der vierstellige Betrag an Spenden nichts ändern, der am Abend zusammenkam. „Die Geschichte der syrischen Revolution ist lang“, sagte Sabra. Die nächsten Kapitel werden gerade geschrieben, und ein Happy End ist nicht in Sicht.