Buletten und Computerschrott

Danke, kirgisische Zeitungsmafia: Ohne euch würde es die taz nrw heute wahrscheinlich nicht geben. Genau so wenig wie Schnaps auf dem Kunstleder-Sofa. Anekdoten aus der Redaktion (Teil I)

Eine schwarze Katze zischt über einen verlassenen Parkplatz in Bochum. Mäuse sind ihr total egal. Sie flieht vor dem ohrenbetäubenden Lärm eines Radios, das aus den hell erleuchteten, sperrangelweit aufgerissenen Fenstern über ihr dröhnt. Drinnen sitzt breitbeinig regungslos der wohl sterbende Redaktionsleiter auf einem zerschlissenen Kunstleder-Sofa. Seine geschlossenen Augenlider zucken zur Musik, eine leere Flasche Wodka lässt Übles vermuten. Es ist ein normaler Donnerstagmorgen gegen drei Uhr. Wir schreiben das Jahr 1998. Hier wird gerade die neue „taz ruhr“ produziert. Das hinterlässt Spuren, beim erschöpft schlafenden Chef und seinen immer noch ackernden Zeitungsschreibern – und beim nachtaktiven Getier auf dem ehemaligen Industriegelände an der Dorstener Straße.

Ihre Existenz verdankt die „taz ruhr“ der Zeitungsmafia in Kirgisien. Zwei Jahre zuvor hatte die den Bottroper Journalisten David Schraven aus seinem Nachrichtenbüro Zentralasien verjagt, wo er nach dem Fall der Mauer seine Chance gewittert hatte. Zurück in Deutschland hat er die Idee: eine eigene Zeitung für das ganze Ruhrgebiet, verbunden mit der Stärkung für die linke, radikale „Tageszeitung“ in Berlin. Schraven sammelte KollegenInnen und solche, die es werden wollten um sich. Erstes Hauptquartier war der soziokulturelle Bochumer Bahnhof Langendreer. Ein ganzes Jahr lang schlug sich die unfinanzierte Initiative dort die Konzepte um die Ohren. Erscheinen nur im Internet? Seitenzahl? „Ich würde gern mal Kochrezepte vorstellen“, ruft die Bekannte einer Bekannten in die brabbelnde Schar. Die Augen von Organisator Schraven werden zu gefährlich schmalen Schlitzen, doch er bleibt galant. Als kurz danach ein verdreckter Computer-Monitor in den historischen Raum 6 geastet wird und der Träger den angewiderten Blicken ein freundliches „hier haben wir schon mal etwas Equipment“ entgegenwirft, da leuchten seine Augen wieder auf.

Der ewige Macher sieht bereits den Silberstreif im Ruhrpott, Buletten an Feldsalat sind vergessen. Die Rezept-Rezensentin hat noch einmal Glück gehabt, fertig. Noch schnell die diskutierte Internetausgabe abgebügelt, einen taz-Galerieführer für die Region angeregt und den Tagesordnungspunkt „Weitermachen oder Verein auflösen“ abgehakt. 23 Uhr: Das Fiege-Pils wartet. Schraven ist restlos zufrieden, denn für den ersten öffentlichen Auftritt der taz ruhr hat der Kommunalverband Ruhr Anzeigen zugesagt.

Acht Wochen später war die Mannschaft auf drei Unentwegte geschrumpft, saß mit hängenden Ohren im Büro des damaligen NRW-Korrespondenten der taz. An diesem Nachmittag sollte sich das Schicksal der taz ruhr entscheiden. Und während unten auf der Straße eine Politesse einen Strafzettel an Schravens Auto pappte, fassten sich oben im dritten Stock die Drei ein Herz. Jetzt erst recht! Die Zeitung war wieder einmal gerettet. Ende des Jahres 1997 erschien sogar ein vierfarbiges taz ruhr Weihnachtsmagazin – mit, man glaubt es kaum: einer ganzen Seite Kochrezepte!

Möglicher Ruhm und Druckerschwärze auf richtigem Zeitungspapier wurden schlagartig die Antriebsfedern, die junge Revierbewohner immer wieder in Wellen an den Bleistift trieben und im September 1998 erst eine Nullnummer und einen Monat später die erste heiß ersehnte Wochenausgabe möglich machten. „Seit 20 Jahren warten wir darauf“, freute sich auch der Gelsenkirchener Ludger Volmer, der damals gerade über die NRW-Landesliste von Bündnis90/Die Grünen wieder in den Bundestag gewählt worden war, während Sahra Wagenknecht in Dortmund für ein PDS-Direktmandat scheiterte. Hoffentlich werde die Zeitung keine Eintagsfliege, sagte Volmer noch. Sie wurde es nicht. PETER ORTMANN