Bremen 2010: Cyborgs auf Kränen

Mobile Computeranwendungen sollen Bremens Zukunfts-Profil schärfen, sagt die Bremer Innovations-Agentur (BIA). Sie will den Transfer von Forschung zur Wirtschaft erleichtern. Die Frage der Akzeptanz der Technik gerät da schon mal aus dem Blick

Bremen taz ■ Wartungstechniker für Schwerlastkräne haben einen mühsamen Job: In luftiger Höhe festgeklammert müssen sie Dutzende von gleich aussehenden Verbindungen, Ventilen und Gelenken nacheinander prüfen und in Listen abzeichnen. Die einzelnen Teile identifizieren sie über Beschriftungen – jedenfalls meistens. Denn die Kennzeichnungen sind oft unter Schmutz verschwunden oder wurden schlicht überlackiert.

Um diesem Missstand abzuhelfen hat das Technologie-Zentrum Informatik (TZI) an der Universität Bremen einen Arbeitshandschuh entwickelt, der Bauteile automatisch identifizieren soll. Dazu müssen an den Wartungspunkten winzige, per Funk auslesbare Computer-Chips, so genannte RFID-Chips, angebracht werden – die funktionieren auch durch Dreck und Lack hindurch. Der Handschuh selbst ist mit einem Lesegerät ausgestattet. Bringt der Techniker seine Hand in die Nähe eines Bauteils, wird dessen Bezeichnung auf ein kleines Glasplättchen projiziert, das, an einem Stirnband befestigt, direkt vor dem Auge des Technikers hängt. Mit Fingerbewegungen im High-Tech-Handschuh, so die Vision, soll sich der künftig durch Listen und Menüs hangeln, der zugehörige Minicomputer ist in der Gürtelschnalle montiert.

Die Bremer Innovations-Agentur (BIA) sieht in solchen wearables – Computersystemen zum Anziehen – Bremens Zukunft. Bis 2010 soll die Stadt der führende Standort für solche mobilen Computer-Anwendungen sein, so die Vision der BIA. Als Cyborgs verkleidete Wartungsarbeiter auf Baukränen sind dabei nur eine Facette der „Mobile City Bremen“. Unter diesem Etikett fördert die BIA verstärkt Forscher und Firmen, die Computeranwendungen Beine machen wollen. Das Geld hierfür stammt hauptsächlich aus dem 50 Millionen Euro fassenden Fördertopf des Programms „Bremen in t.i.m.e“, 15 weitere Millionen haben Telekom und Microsoft beigesteuert.

Um die neue Technik aus Bremer Forschungsinstituten in die Firmen zu bringen, wurde mit dem Mobile Research Center (MRC) sogar extra eine landeseigene Transfer-Einrichtung geschaffen. Im Idealfall würden sich dort in nächster Zukunft die Handschuh-Schneider von der Uni und Entscheidungsträger einer Wartungsfirma über den Weg laufen – und ins Geschäft kommen.

Derzeit sind wearables noch nicht von der Stange zu kaufen, ihren Datenhandschuh haben die Bremer selbst gestrickt. Denn: „Die üblichen Handschuhe für Virtual Reality-Anwendungen kann man dafür vergessen – die sind zu fragil für echte Arbeitseinsätze“, so Andreas Winter, Informatiker am TZI.

Doch die neue Technik hat noch ihre Tücken. „Manchmal zieht der RFID-Leser den Saft aus dem ganzen System an sich“, brummt Winter. Dann geht gar nichts mehr. Solche bösen Überraschungen sollen dem Wartungspersonal in luftiger Höhe erspart bleiben, weshalb das MRC kürzlich einen Test- und Demonstrationsraum eröffnet hat. Dort kann das Zusammenspiel der Prototypen für mobile Anwendungen ausprobiert werden.

Ob sich die wearables durchsetzen, entscheiden am Ende möglicherweise weder Innovations-Förderer noch Forscher. In erster Linie müssten die Geräte von jenen Menschen akzeptiert werden, die mit ihnen arbeiten sollen, davon ist die Informatikerin Ingrid Rügge überzeugt. Hier sei noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, so die TZI-Mitarbeiterin. Auf Workshops zum Einsatz von mobilen Computern im Gesundheitswesen musste Rügge feststellen: „Für manche Krankenschwester war es das entscheidende Kriterium ihrer Berufswahl, dass sie definitiv nichts mit Computern zu tun haben wollte.“ Peter König