„Ich muss aussteigen können“

TAZ-Serie zur NRW-Wahl Teil V: Der Ökobauer Bernhard Luhmer aus Wachtberg-Niederbachem ist unbesorgt. Wer in NRW in Zukunft regiert, lässt ihn fast kalt. Wichtiger als die Düsseldorfer Landesregierung sind für ihn die Brüsseler Förderprogramme – wenn da nur nicht die Bildungspolitik wäre

„Bei Bärbel Höhn weiß man genau, wo man dran ist. Und das finde ich sehr gut“

von ISABEL FANNRICH

Wenn Bernhard Luhmer aus dem Wohnzimmerfenster schaut, hat er Gegenwart und Zukunft zugleich im Blick. Die gesamte Länge des Raumes ist bis runter auf die breite Holzfensterbank verglast. Unmittelbar hinter diesem Panoramafenster grasen die gelbbraunen Kühe des Ökobauern auf den zum Dorf hin abfallenden Hängen. Unten im Tal liegt Wachtberg-Niederbachem, wo Luhmer herkommt, und wo auch die Familie seiner Frau lebt. Gegenüber erheben sich die Hügel des unter Naturschutz stehenden Siebengebirges.

Bernhard Luhmer hat keine Scheu, in die Ferne, in die Zukunft, zu blicken. Am liebsten plant der 51-Jährige dabei die nächsten fünf Jahre. Eine Idee, die sich 1982 in seinem Kopf festsetzte, als er kurz nach seinem Landwirtschaftsstudium die DDR mit ihrer Planwirtschaft kennen lernte. Und eine Gewohnheit, die sich durch die bürokratischen Abläufe der modernen Agrarpolitik beim ihm festgesetzt hat. Denn die Förderprogramme der EU und des Landes NRW, mit denen Luhmer einen Gutteil seines Einkommens erwirtschaftet, erstrecken sich immer über fünf Jahre. Das gebe ihm „eine Planungssicherheit wie noch nie“, sagt er in seiner bedächtigen Art.

Zweimal fünf Jahre zurück, Mitte der 90er Jahre, kam ihm mit Rot-Grün und der Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn ein Glücksfall ins Haus: „Ich kann mich über die Agrarpolitik nicht beklagen“, sagt der Bauer in leichtem Sing-Sang. „Bei Bärbel Höhn weiß man genau, wo man dran ist. Und das finde ich sehr gut.“

Luhmer ist es gewöhnt, politische Aussagen zu machen. Offen schaut er sein Gegenüber an, die Hände bewegen sich ruhig. Zehn Jahre saß er für die Unabhängige Wählergemeinschaft Wachtberg im Rat. Weil es aber „mühselig war, Sachpolitik zu machen“ und er die Politik als „zu interessengeleitet“ empfand, stieg er aus, engagierte sich aber ein Jahrzehnt lang weiter im Schulausschuss. Seit über einem halben Jahr ist er wieder bei der Wählergemeinschaft dabei – Schwerpunkt Schulpolitik.

An einer Weggabelung hinter Wachtberg-Niederbachem weist ein Bioland-Schild zu Luhmers Hof. Rechts der Einfahrt liegt sein lang gestrecktes Wohnhaus mit Solaranlage auf dem Dach, links davon das Haus seines Bruders. Dahinter die Ställe und Scheunen, alles schlicht und unauffällig. Heraus ragt nur der Anbau an sein Haus mit dem Wohnzimmer, in dem Luhmer selber die Decke und den Boden aus Holz gestaltet hat. Alles aus ökologischem Baumaterial, wohnlich, mit Klavier, Kamin und rundem Aquarium. Zwei Architekten hätten mit dem Entwurf einen Preis gewonnen, erzählt er mit Stolz.

Vor zehn Jahren gab es noch einen zweiten Einschnitt in Luhmers Leben. Seine Frau wollte wieder in ihren Beruf als Lehrerin zurück. Um der Familie einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen. Weil Bernhard Luhmer es allein nicht mehr geschafft hätte, musste er „mit dem Milchvieh“ und dem Käsemachen aufhören, den Hofladen dicht machen und statt dessen die Kinder morgens zum Kindergarten bringen. Eine „persönliche Umstrukturierung“ nennt er das vorsichtig. Sollte er darüber enttäuscht gewesen sein, lässt er sich das heute nicht mehr anmerken. Denn Bernhard Luhmer ist ein Pragmatiker.

„Ich muss jederzeit aussteigen können“, das ist Luhmers Maxime. Heute bewirtschaftet er knapp 52 Hektar. Noch bildet die Rinderhaltung den Schwerpunkt seiner Arbeit. Um 30 Tiere und ihren Nachwuchs kümmert sich der Ökobauer fast im Alleingang. Einmal im Monat lässt er schlachten, seine Kunden holen sich das Fleisch am Hof ab. Auch das Getreide und die Kartoffeln vermarktet er direkt. Doch die Nachfrage nach Rindfleisch hat nachgelassen, musste der Bauer erkennen.

Deshalb setzt er stark auf die subventionierten Programme in der Ökolandwirtschaft. „Ich nehme an so viel Umweltprogrammen teil wie möglich“, sagt Luhmer offen. Das Wort Subvention will er lieber nicht in den Mund nehmen – zu vorurteilsbeladen. Dabei finde er die Zuschüsse „grundsätzlich nicht schlecht“. „Politiker haben nur zu wenig Visionen“, kritisiert er.

So steht allein ein Viertel seiner Betriebsfläche, am Hang zum Nachbardorf gelegen, unter Vertragsnaturschutz. Das heißt, Luhmer muss das unter Schutz stehende Grünland auf bestimmte Weise bewirtschaften, teils beweiden, teils mähen – und bekommt dafür Geld. Außerdem beteiligt sich der umtriebige Landwirt mit Ackerrandstreifen am Erosionsschutz, bewirtschaftet Felder mit „vielfältiger Fruchtfolge“, legt seine Ställe mit Stroh aus und hält zum „Schutz aussterbender Haustiere“ das einfarbig gelbe Glanvieh.

16 Uhr, Bernhard Luhmers Frau Ute ist früher als erwartet von der Arbeit zurück. Einmal die Woche muss die Sonderschullehrerin auch nachmittags unterrichten. Ein kritischer Rundgang durchs Haus, ein Blick auf die noch unerledigte Hausarbeit. „Gestern habe ich um 12.30 Uhr nach der Arbeit den Frühstückstisch abgeräumt“, kritisiert die resolute Frau ihren Mann, „nur ab und zu klappt‘s.“ – „Meistens klappt‘s“, erwidert er. „Wir haben eine klassische Arbeitsteilung“, stellt die 44-Jährige nüchtern fest. Sie mache den Haushalt und die Kinder. Das sei neben ihrer Zweidrittelstelle an zwei verschiedenen Schulen „eigentlich zu viel“. Ihr Mann bekennt: „Ich habe kein Problem mit der klassischen Rollenverteilung.“

Anfang der 80er Jahre hatte das Paar den bereits still gelegten Betrieb von Bernhard Luhmers Eltern übernommen. Das war nach seinem Studium und während ihrer Ausbildung und markierte den Beginn eines Großfamilienlebens. Die Eltern, die ihren Sohn lieber in der Verwaltung gesehen hätten, blieben auf dem Hof wohnen, im selben Haus, aber in einer eigenen Wohnung. Die Großmutter war der „Dreh- und Angelpunkt“ des Hoflebens, eine Anlaufstelle auch für die beiden Kinder der Luhmers, die 13-jährige Katharina und den 11-jährigen Sebastian. Bis die Großmutter vor zwei Jahren, der Großvater vor einem Jahr starb.

An der Fachhochschule hatte Luhmer noch gelernt: „Es geht nicht ohne Dünger und Spritzen.“ Doch gerade diese Abhängigkeit von Düngemitteln einerseits und der Zuckerrübenfabrik als Abnehmerin andererseits habe ihn sehr gestört. „Das war bei mir der erste Anreiz für Bio“, erzählt Luhmer. Aus ideologischen Gründen sei er dann mit seiner Frau in den Bioland-Verband eingetreten. „Das ist der Politischste von allen.“

„Ich glaube nicht, dass sich die Agrarpolitik drastisch ändert“, vermutet Luhmer. Zu sehr sei die nationale Landwirtschaftspolitik mittlerweile durch die EU bestimmt. „Allerdings gäbe es mit der CDU die Strohstall-Förderung nicht mehr“, schränkt er, an seine Frau gewandt, ein. „Das wären 3.000 Euro im Jahr weniger.“ Das sei „doch schon viel“, murmelt sie.

Größere Sorgen bereitet dem Ehepaar die künftige Bildungspolitik. Denn der Sohn geht auf eine Gesamtschule. „Die CDU würde die Gesamtschulen zurückfahren“, glauben die Luhmers. „Schon jetzt haben sich die Unterrichtsbedingungen verschlechtert“, wettert sie. „Und der Rotstift regiert die Schulpolitik“, fällt er ein. Die Konservativen würden die Eliteschulen fördern und damit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Die Zukunft ihres Hofes ist ungewiss. Deshalb wollen die Luhmers keine großen Investitionen mehr planen. „Für unseren Sohn Sebastian ist es unvorstellbar, weg zu gehen“, sagt Ute Luhmer, „für ihn ist es klar, dass er Hofnachfolger wird.“ Abwarten, meint Bernhard Luhmer. „Wenn er 17 ist und seine erste Freundin hat, denkt er nicht mehr daran.“ Sie schauen aus dem Fenster und suchen in der Ferne nach Antworten. Sollen sie die Viehherde reduzieren? Das Pachtland behalten? Einen Demo-Bauernhof oder einen Tagungsort aufbauen? Oder Berater für Landschaftspflege werden? Bernhard Luhmer wird für die nächsten fünf Jahre ohne Zweifel etwas einfallen.