KIND SEIN IN JAPAN

Vierjährige, die schon Japanisch schreiben und Englisch sprechen können, sind in Japan keine Ausnahme, ebenso Eintrittsexamen für prestigeträchtigen Kindergärten und Grundschulen. Damit versuchen die Eltern, frühzeitig den begehrten Platz an einer angesehenen Mittelschule und später der Universität zu sichern. Für die Kindererziehung ist die Mutter verantwortlich, 70 Prozent der Frauen geben nach der Geburt des ersten Kindes ihren Beruf auf.

Das Bild der strebsamen Lerngesellschaft bekommt allerdings zunehmend Risse. Meldungen über Grundschüler, die Klassenkameraden niederstechen, oder Hikikomori-Kinder, die plötzlich die Schule verweigern und Monate oder Jahre ihr Zimmer nicht mehr verlassen, haben in den letzten Monaten Pädagogen und Eltern aufgeschreckt. Japan kennt zwar ein Recht auf Ausbildung. Den Behörden fehlt allerdings die rechtliche Handhabe, Kinder zum Schulbesuch zu zwingen.

In Fernseh-Shows und Zeitungen rätseln Fachleute über die Gründe für die jugendliche Rebellion. Die einen meinen, dies sei die Auswirkung der verweichlichenden, stressfreien Erziehung in den Schulen. Als Ausdruck von Überforderung und fortschreitender Vereinsamung interpretieren es andere. Schulpsychologische Dienste und Einrichtungen, die Eltern und Lehrer bei Erziehungsfragen und Schwierigkeiten beraten, sind in Japan unterfinanziert. Zudem ist die psychologische Hürde für viele Eltern hoch, eine solche Einrichtung aufzusuchen – aus Angst vor Gesichtsverlust. RUTH BOSSART