Freispruch für Fehldiagnose zu krankem Abschiebehäftling

JUSTIZ Frankfurter Amtsgericht sah Kasseler Psychiater nicht allein verantwortlich für die Selbsttötung des Häftlings Mustafa Alcali

FRANKFURT/MAIN taz | Mit einem Freispruch endete am Freitagnachmittag vor dem Frankfurter Amtsgericht der Prozess gegen einen 82-jährigen Psychiater. Heinrich W. war der fahrlässigen Tötung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, durch eine Fehldiagnose den Tod des 30-jährigen Abschiebehäftlings Mustafa Alcali verschuldet zu haben.

Der psychisch schwerkranke Alcali hatte sich im Juni 2007 in seiner Gefängniszelle erhängt. W. hatte die Diagnosen mehrerer länger behandelnder Kollegen verworfen und nach nur flüchtiger Untersuchung entschieden, der Mann sei nur vorübergehend gestört, durchaus reise- und damit abschiebefähig. Alcali, der schon zwei Jahre lang behandelt worden war, hatte sich im Mai mit Benzin übergossen, Passanten bedroht und angekündigt, er wolle sich anzünden.

Staatsanwalt Martin Links hatte W. einen „Kunstfehler“ vorgeworfen und argumentiert, das Gutachten des Arztes habe ursächlich zum Tod des Opfers geführt. Er beantragte eine Geldstrafe, weil er die Überlastung des Angeklagten strafmildernd wertete. Der habe im Justizkrankenhaus Kassel nur einen Zwölf-Stunden-Vertrag gehabt, sei aber trotz seines hohen Alters „wie in Vollzeit“ im Einsatz gewesen.

Verteidiger Werner Momberg bestritt die Alleinschuld seines Mandanten. Er habe zwar „unbestritten“ Fehler gemacht, weil er keine Rücksprache mit Alcalis Ärzten gehalten und ihn, statt ihn langfristig zu beobachten, innerhalb weniger Tage zur Abschiebung nach Frankfurt überstellt habe. Die Folgen aber habe er nicht absehen können. Alcali waren dort, weil er nach W.s Diagnose als gesund galt, von einem Tag auf den anderen starke Psychopharmaka abgenommen worden.

Richterin Dorothee Hansen tadelte die Fehler von W., die aber nicht kausal zum Tod von Alcali geführt hätten. Der Angeklagte habe weder die Abschiebeentscheidung, den Medikamentenentzug oder gar die desolate Personalsituation beeinflussen können. Die Hilfsorganisation Pro Asyl kritisierte, diese Aufsplittung der Verantwortung lasse es immer wieder zu, dass niemand wirklich dingfest gemacht werden könne. HEIDE PLATEN